Die dunkle Seite der Führungsmacht Destruktive Führung – mit Achtsamkeit, Mut und Reflexion die Gefahr bannen

Destruktive Führung – mit Achtsamkeit, Mut und Reflexion die Gefahr bannen

Destruktive Führung ist weit verbreitet und richtet enormen Schaden an. Jede Führungskraft ist dafür verantwortlich, Anzeichen schädlichen Verhaltens bei sich und anderen zu erkennen sowie dagegen vorzugehen. Anhand zahlreicher Beispiele gibt Prof. Monika Burg Personalverantwortlichen konkrete Empfehlungen, wie der Weg zurück zur konstruktiven Führung dauerhaft gelingt.

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Die dunkle Seite der Führungsmacht Destruktive Führung – mit Achtsamkeit, Mut und Reflexion die Gefahr bannen

Destruktive Führung – mit Achtsamkeit, Mut und Reflexion die Gefahr bannen

Destruktive Führung ist weit verbreitet und richtet enormen Schaden an. Jede Führungskraft ist dafür verantwortlich, Anzeichen schädlichen Verhaltens bei sich und anderen zu erkennen sowie dagegen vorzugehen. Anhand zahlreicher Beispiele gibt Prof. Monika Burg Personalverantwortlichen konkrete Empfehlungen, wie der Weg zurück zur konstruktiven Führung dauerhaft gelingt.

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Anschreien, bloßstellen, ignorieren, lügen: Destruktives Verhalten von Führungskräften ist keine Seltenheit. Es hat viele Gesichter und vor allem einen Effekt: Verletzung. Destruktive Führung ist insbesondere ein Gift im agilen Organismus – dieses Gift hat schlimme Folgen und ist weit verbreitet.

Wenn Sie jetzt glauben, Sie wären als Führungskraft davor gefeit, sich destruktiv zu verhalten, befinden Sie sich schon in der Falle! In jedem von uns steckt zumindest ein wenig vom sogenannten "D-Faktor", der die "dunklen" Seiten in uns beschreibt. Kommen Stress und Leistungsdruck hinzu, ist die Versuchung groß, den Druck auch mit destruktiven Verhaltensweisen weiterzugeben. Gerade in der Projektarbeit mit Deadlines und hohen Anforderungen ist die Gefahr dafür hoch.

In zahlreichen Studien, zuletzt in der 2020 veröffentlichten Studie von vier Hochschulen in Kooperation mit dem Bewertungsportal Kununu, wird das Ausmaß destruktiver Führungskräfte deutlich: In 85 Prozent aller deutschen Unternehmen kommt destruktive Führung vor, jede fünfte Führungskultur wird sogar als Ganzes als destruktiv oder toxisch beschrieben (Bormann et al., 2020). Als Synonyme für destruktiv und toxisch werden in der Literatur auch die Begriffe tyrannisch, despotisch, aggressiv, entgleisend oder missbräuchlich benutzt (Brosi und Spörrle, 2002).

Die gute Nachricht: Sie können als Führungskraft destruktive Ansätze bei sich selbst und in der Unternehmenskultur frühzeitig erkennen und ihnen gezielt gegensteuern. Damit Ihnen dies gelingt, zeige ich Ihnen im Folgenden Ansätze auf, wie Sie als Führungskraft sich, Ihr unmittelbares Umfeld und Ihre Organisation vor diesem Gift und seinen Auswirkungen schützen können.

Was ist destruktive Führung und was bewirkt sie?

Schlechte Führung ist z.B. die Unfähigkeit, Entscheidungen zu fällen, Verantwortung zu übernehmen, klar zu kommunizieren oder objektiv zu beurteilen. Man könnte sagen: "Schlecht gemacht, aber nicht böse gemeint". Destruktive Führung hingegen bedeutet, dass Führungskräfte bewusst und systematisch so handeln, dass die Mitarbeiter es als feindselig, aggressiv oder respektlos wahrnehmen (physische Übergriffe sind aber ausgenommen – das wäre nicht destruktiv, sondern schon physische Gewalt). "Schlecht gemacht und böse gemeint", könnte man sagen.

Entscheidend ist hier die Häufigkeit. Einmaliges Danebenliegen ist noch keine destruktive Führung, sondern menschlich. Kommt es allerdings öfter vor, beginnt es einen systematischen Charakter zu bekommen und wird als destruktiv definiert. Destruktive Führung steht der konstruktiven Führung, der beziehungsorientierten, motivierenden und unterstützenden Führung gegenüber.

Destruktives Verhalten von Führungskräften kann sich gegen einzelne Personen richten ("Bossing") oder allgemein zur Durchsetzung organisationaler Ziele angewandt werden. Im Kern geht es immer darum, andere bewusst zu verletzen und es handelt sich immer um einen Angriff auf den Selbstwert von Menschen. Wie wichtig das Gefühl von Selbstwert ist, zeigt die große Bedeutung der menschlichen Grundbedürfnisse für die agile Projektarbeit. Diese erläuterte ich in meinem Beitrag: "So führen Sie Ihr Team in der VUCA-Welt!"

Welche Verhaltensweisen sind konkret destruktiv?

Destruktive Führung ist ein sehr komplexes und vielschichtiges Phänomen und hat viele Gesichter: Destruktive Chefs können verbal attackieren (z.B. mit verletzenden Äußerungen) und non-verbal (z.B. durch bewusstes Übergehen bei der Begrüßung), laut (z.B. indem sie jmdn. anschreien) oder leise (z.B. mit Beleidigungen im Plauderton), direkt (z.B. durch persönliche Demütigung) oder indirekt (z.B. indem sie bei anderen über eine Person herziehen), offen (z.B. bloßstellen oder lächerlich machen vor anderen) oder verdeckt (z.B. nur im Vieraugengespräch). Die Beispiele im Infokasten zeigen auf, wie breit die Palette destruktiver Verhaltensweisen ist (in Anlehnung an May et al., 2016):

Beispiele für destruktives Führungsverhalten:

  • Mitarbeiter betont unhöflich, unfreundlich oder taktlos behandeln
  • Laute, ärgerliche und grundlose Wutausbrüche vor Mitarbeitern
  • Mitarbeiter beleidigen
  • Mitarbeiter vor anderen kritisieren
  • Mitarbeiter öffentlich lächerlich machen oder demütigen
  • Mitarbeiter für eigene Fehler verantwortlich machen
  • Leistungen/Erfolge von Mitarbeitern als die eigenen ausgeben
  • Mitarbeitern mit Jobverlust, Verantwortungsentzug oder Strafversetzung drohen
  • Mitarbeitern demonstrativ die Anerkennung für gute Leistungen verweigern
  • Mitarbeiter willkürlich bestrafen
  • Mitarbeiter täuschen, belügen oder hintergehen
  • Mitarbeiter im Stich lassen, sich illoyal verhalten
  • Mitarbeiter gegeneinander ausspielen
  • Mitarbeiter gängeln/bevormunden
  • Mitarbeiter übergehen, nicht in Prozesse einbinden
  • Mitarbeiter unter Druck setzen, einschüchtern
  • Mitarbeiter mit Aufgaben überlasten
  • Mitarbeiter arbeitswichtige Informationen vorenthalten
  • Mitarbeiter zwingen oder nötigen

Destruktive Führung in der Praxis - Fallbeispiele

Um deutlicher zu machen, wie diese Verhaltensweisen im Alltag eingebettet sein können, hier einige Fallbeschreibung betroffener Personen:

Fall 1 - laute, ärgerliche Wutanfälle

"Bei mir in der Firma rastet der Chef regelmäßig aus. Er wird laut und angreifend. Ich arbeite als Videoproduzentin, und die Beiträge werden bei einem Privatsender ausgestrahlt. Die Quoten zeigen, dass meine Beiträge gut ankommen, er aber behauptet in den Team-Meetings, die Beiträge würden von mir 'immer so lieblos' gemacht. Ich glaube, mein Chef kokst sogar, so aufgedreht, wie er manchmal ist und dann wieder zu gelassen, wenn es brennt."

Fall 2 – taktlose Nicht-Unterstützung

"Wir sitzen im Großraumbüro einer Grafikabteilung. Ich bin noch recht frisch da, verstehe noch nicht immer, wie das Grafikprogramm funktioniert. Mein Chef stellt sich abends, wenn wir alleine im Büro sind, neben mich, schaut mir über die Schulter und wenn ich im Programm nicht weiterkomme, sagt er ganz trocken: 'Bist du blöd! Im Ernst?'"

Fall 3 – Druck weitergeben, vorführen

"Ich habe in meiner nur kurzen Laufbahn schon viele solcher Führungskräfte kennengelernt. Nach meiner Ausbildung bin ich z.B. in einer Softwarefirma gelandet. Der CEO hatte eine Laufbahn bei der Bundeswehr absolviert und regelmäßig auch diesen Ton an den Tag gelegt. Am Tag meines Vorstellungsgespräches schon hat er vor mir jemanden zusammengefaltet. Meine direkte Vorgesetzte war ein herzensguter Mensch – leider nur privat. Anscheinend hat der Druck von ihrem Bruder dazu geführt, dass Sie immer jemanden in ihrem Team gesucht und gefunden hat, an dem sie diesen Druck ablassen konnte – in Form von Bloßstellen im Team. Das hat dann dazu geführt, dass innerhalb des Teams erstens jeder Angst hatte, wieder an der Reihe zu sein, und sich somit untereinander ein schlechtes Klima entwickelte. Es wurde z.B. gelauscht, um sich selbst einen Vorteil zu verschaffen. … Leider gibt es so viele Führungskräfte, die nie eine wirkliche Fortbildung oder Schulung in Mitarbeiterführung bekommen haben. Das macht so viel kaputt."

Fall 4 – Nötigung, Drohung, mit fremden Lorbeeren schmücken

"Im Lockdown waren wir in Kurzarbeit und durften nur 60% der Stunden arbeiten. Wir mussten das schriftlich bestätigen. Soweit normal. Meiner Chefin war das egal. Sie erwartete, dass ich weiter 100% Stunden arbeite. 'Sie wollen sich wohl aus der Verantwortung stehlen' und 'ich erwarte, dass Sie ihr normales Arbeitspensum in 60% der Arbeit schaffen'. Das geht natürlich so einfach nicht. Ich war in einer totalen Zwickmühle, aus der ich nicht herauskam. Als ich noch einmal ein Gespräch suchte, sagte sie: 'Wenn Sie das nicht unterzeichnen, sind Sie sehr illoyal und wir müssen grundsätzlich reden.'. An anderer Stelle wurde mir mit Kündigung gedroht. Dies ist nur ein kleines Beispiel. Die Chefin ist unstrukturiert, kann sich an Vereinbarungen nicht erinnern, schreibt aber auch nicht mit, schreibt unter meine Arbeitsergebnisse ihren Namen und gibt es an die Geschäftsleitung weiter und vieles mehr. Als sie mich jetzt zwingen wollte, eine plötzlich irrational schlechte Beurteilung ohne Diskussion und Begründung zu unterzeichnen, hat sie eine Grenze überschritten, und ich werde mit ihrem Vorgesetzten sprechen. Ich weiß nicht, wie das ausgeht, aber so geht es nicht weiter. Im Zweifel kündige ich."

Fall 5 – Schikane

"Ich habe mal in einem Lebensmittelmarkt Praktikum gemacht. Der Marktleiter hat nur frauenfeindliche Sprüche gemacht, Männer und Frauen ultra-unfreundlich für jeden Unsinn in sein Büro zitiert. Und selbst zu ihren Geburtstagen wurden sie ran zitiert. Sie standen immer mit Panik im Blick vor seiner Bürotür. Er fand das lustig. … Eine Mitarbeiterin hat dann irgendwann ganz oben Beschwerde gegen den Marktleiter eingereicht und er wurde eine Woche später entlassen, genau wie sein Stellvertreter. In dem Markt herrschte keine große Fluktuation, dafür eine Krankenquote von 20-25%."

Destruktive Führung verhindert Agilität und schadet dem Unternehmen

Schaut man in den Scrum Guide von Ken Schwaber und Jeff Sutherland (Schwaber und Sutherland, 2020), so entsteht ein konstruktives Bild von Scrum Teams, die sich regelmäßig und pünktlich zum Daily Scrum treffen, Retrospektiven in offener Atmosphäre abhalten und mit Zustimmung zur Teamvision Werte von Selbstverpflichtung, Offenheit, Mut, Fokus und Respekt in ein starkes Vorwärtsarbeiten für den Kunden umsetzen. Das größte Hindernis für Mut ist Angst: Angst vor Fehlern, Angst vor dem/der ChefIn und Angst vor den Kollegen. Mit Angst verkommt ein Daily Scrum zum trägen Gruppentreffen, ein Sprint-Ziel vielleicht zur unrealistischen Planung und der Sprint Backlog zu einer ineffektiven Sammlung von Aufgaben. Begleitet von Angst funktioniert Agilität schlichtweg nicht.

Die Folgen angstverbreitender, destruktiver Führung sind weitreichend. Der schädigende Effekt auf Mitarbeiter, Zusammenarbeit und Unternehmenserfolg wurde vielfach beschrieben (z.B. Schyns und Schilling, 2013; Bormann et al., 2020; May et al., 2016; Wegge et a., 2021): Es entsteht Angst vor Fehlern und Arbeitsplatzverlust. Stress, Konzentrationsabfall, Fehleranfälligkeit, Burnout, Schlaflosigkeit, verminderter Appetit, Kopfschmerzen bis hin zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Präsentismus (d.h. Beschäftigte kommen trotz Erkrankung zur Arbeit).

In Summe führt dies auf Unternehmensseite zu einem erheblichen wirtschaftlichen Schaden: Ausfalltage steigen, die Produktivität sinkt, die Fehlerquote erhöht sich, Beschäftigte sind demotiviert, es entsteht eine hohe Fluktuation, da Arbeitszufriedenheit und Bindung zum Arbeitgeber Schaden nehmen. Nicht zuletzt bekommt das Arbeitgeberimage in Zeiten digitaler Transparenz öffentlich Risse.

Es braucht keine große Fantasie, um zu verstehen, dass begehrte Fachkräfte ein destruktives Umfeld - wenn möglich - verlassen. Kündigung ist ein Freischlag im destruktiven Sumpf. Wenn die Mitarbeiter - aus welchem Grund auch immer - bleiben, werden sie ihr Potential nicht zeigen. Im Gegenteil, Schyns und Schilling konnten zeigen, dass betroffene Mitarbeiter sich ungerecht behandelt fühlen und verstärkt zu kontraproduktivem Arbeitsverhalten wie Sabotage, Vergeltung, oder Aggression neigen (Schyns und Schilling, 2013). Es wird ein Verhalten ausgelebt, das das eindeutige Ziel hat, andere oder den ganzen Arbeitsplatz emotional oder physisch zu schädigen.

Eine wie vom agilen Manifest geforderte, mutige und reaktionsstarke Kollaboration ist unter den Umständen wohl kaum zu erwarten.

Wie entsteht destruktive Führung?

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