Mit Komplexität und Dynamik besser umgehen Warum wir ein neues Verständnis von Projektmanagement brauchen

Trotz einer sauber aufgesetzten Projektplanung und der konsequenten Einhaltung der vorgeschriebenen PM-Methodik verfehlen Projekte oft ihre Zielvorgaben. Einer der wichtigsten Gründe hierfür ist die stark gestiegene Komplexität. Diese erfordert eine neue Sichtweise auf das Projektmanagement, wie Olaf Ihlow in seinem Trend-Beitrag meint.

 

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Mit Komplexität und Dynamik besser umgehen Warum wir ein neues Verständnis von Projektmanagement brauchen

Trotz einer sauber aufgesetzten Projektplanung und der konsequenten Einhaltung der vorgeschriebenen PM-Methodik verfehlen Projekte oft ihre Zielvorgaben. Einer der wichtigsten Gründe hierfür ist die stark gestiegene Komplexität. Diese erfordert eine neue Sichtweise auf das Projektmanagement, wie Olaf Ihlow in seinem Trend-Beitrag meint.

 

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Eigentlich war das Projekt perfekt gelaufen: Es ging um die Integration externer Unternehmensteile, die in einem sehr kleinen Kreis von Vertrauten hinter verschlossenen Türen durchgeführt wurde. Der Vorstand hatte den Projektmitarbeitern die Bedeutung dieses strategischen Projekts klar gemacht, wodurch Planungstermine und Meilensteine immer gehalten werden konnten. Der beteiligte Rechtsanwalt bewertete die juristische Seite und führte diskret die notwendigen Gespräche mit der Mitarbeiter-Vertretung. Der Projektleiter nutzte PM-Standards, achtete auf deren Einhaltung und berichtete anhand zweiwöchiger Ampel-Reports über den Projektfortschritt. Externe Berater entwickelten das Konzept mit und sicherten es ab.

Ohne vorherige Gerüchte wurde die Neuerung als großartige Innovation in einer Pressemitteilung publiziert. Quasi zeitgleich wurde die neue Organisationsstruktur mit neuen Prozessen und Verantwortlichen verkündet, die sofort wirksam war. Das anschließende Implementierungs-Projekt führte die IT-Systeme zusammen und synchronisierte die Finanzbereiche. Das Projekt war genau zum geplanten Zeitpunkt abgeschlossen und wurde gefeiert.

Doch zwei Jahre später war in der Gesamtorganisation eine negative Entwicklung spürbar: In einer Phase, in der die Organisation die Auswirkungen des erwähnten Projekts eigentlich hätte verdauen sollen, bewegten sich wesentliche Kennzahlen der Firma nach unten. Befragungen zur Kundenzufriedenheit zeigten eine negative Tendenz, genauso wie die "Time-to-market", nach der gemessen wird, wie schnell neue Produkte im Markt positioniert werden können. Insgesamt war die Stimmung in der Belegschaft zwar gut, aber neue Mitarbeiter wurden zunehmend schlechter integriert und die Laufzeit von Prozessen verlängerte sich.

Was war geschehen?

Dieses Projekt war nach allen Regeln der (konventionellen) PM-Kunst durchgeführt worden – nur hatte man den "menschlichen Faktor" völlig außer Acht gelassen. Eine stringente Projektplanung, eine gute Steuerung der Verantwortlichen und Verantwortlichkeiten im Projekt sind natürlich gut. Aber immer wenn Menschen von einem Projekt stark betroffen sind, müssen sie auch ihre Beachtung in der Konzeption, den verschiedenen Interaktionen und der Kommunikation des Projekts bekommen.

Wie eine Analyse zeigte, lebten viele Mitarbeiter noch in der alten Struktur. Wenn es etwas zu tun gab oder wenn eine Entscheidung anstand, wurden die Menschen angesprochen, die man schon immer angesprochen hatte. Neue Prozesse und Verantwortlichkeiten hin oder her: Erfahrene Mitarbeiter wissen, wie sie ihre Aufgaben lösen können. Und sie tun das in den alten Strukturen.

Wie ging es weiter?

Der Vorstand initiierte das Nachfolge-Projekt "Fusion nach Innen", um nachzuholen, was versäumt worden war. Dieses Projekt wurde auf die starke Einbindung der Mitarbeiter ausgerichtet. Eine breit angelegte Mitarbeiterbefragung sorgte dafür, gezielt nach gefühlten Missständen in der derzeitigen Organisation zu fragen. Schrittweise wurden Meinungsträger, Führungskräfte und Betroffene an das Projekt herangeführt. Probleme wurden nicht "schöngeredet", sondern aktiv benannt und bearbeitet. In mehreren Großgruppen-Veranstaltungen, die eine sehr erfahrene Kollegin und ich moderierten, bekamen alle Mitarbeiter die Gelegenheit, sich aktiv am Prozess zu beteiligen. Externe Coaches betreuten besonders betroffene Führungskräfte und deren Teams.

Nach weiteren neun Monaten war die Integration endlich vollzogen. Mitarbeiter begannen, wieder stolz auf ihr Unternehmen zu sein und akzeptierten die Veränderungen, weil sie die Chance hatten, sie selbst mit zu gestalten. Die wirklichen Projektziele wurden zwar spät, aber sie wurden erreicht.

Was braucht Projektmanagement in heutiger Zeit?

Dieses Beispiel zeigt, dass das klassische Projektmanagement, wie wir es heute meist anwenden, zwar notwendig und richtig ist, aber oft nicht ausreicht, um Projekte zum Erfolg zu führen. Die Methoden des Projektmanagements müssen immer auf die besonderen Anforderungen eines Projekts angepasst werden – es reicht heutzutage nicht mehr aus, für Projekte jeglicher Art immer dasselbe "Standard-Setting" an PM-Methoden und -Tools zu verwenden. Vielmehr muss die Projektleitung zum Projektstart den Mut haben dürfen, sich die Frage zu stellen, was für Tools, welche Unterstützung, welche grundsätzliche Herangehensweise dieses Projekt denn nun eigentlich braucht.

So trivial sich das anhören mag: Falscher Respekt vor dem Auftraggeber, hektische Betriebsamkeit zum Projektstart oder Mitarbeiter, die "schon wissen, was zu tun ist" und einfach loslegen, verhindern häufig, dass diese grundsätzlichen Klärungen durchgeführt werden.

Hierzu ein kleines Beispiel: Ein bekanntes Beratungshaus hat vor einiger Zeit seinen Consultants, die "obligation to dissent" verordnet: Auch wenn man als Berater, Mitarbeiter, Projektleiter in einer Lieferanten-Beziehung z.B. zum Projekteigentümer steht, habe man die Verpflichtung, solange (konstruktiv) zu widersprechen und nachzufragen, bis man wirklich verstanden hat, was der Kern des Problems ist. Bevor ich als Projektleiter nicht ein wirklich gutes Bild über die sinnvolle Struktur des Projekts habe, sollte ich mich nicht einfach mit vordefinierten Gegebenheiten zufrieden geben. Und manchmal entstehen dabei neue Perspektiven, neue Ideen zu anderen Strukturen oder andere Bedarfe eines Projekts.

Alle Kommentare (1)

Beate
Friedrich

Sehr interessanter Artikel, der mir in vielem aus der Seele spricht. Zum 1. Teil möchte ich allerdings leicht widersprechen: Als PRINCE2 Trainerin breche ich mal eine Lanze für dieses Best Practice: Hier sitzt ein Vertreter der Betroffenen eines Projekts im Lenkungsausschuss und bestimmt mit darüber, wie das Ergebnis aussehen muss. Ein PRINCE2 Projekt muss auch immer wieder zeigen, dass die vom Projekt gelieferten Ergebnisse anwendbar sind, eben weil sonst gar keine positiven Veränderungen möglich sind, sei das Produkt auch noch so gut. Zum 2. Teil: Ich bin durch meine Erfahrung in Zertifizierungstrainings ebenfalls zu der Überzeugung gekommen, dass ein Wissen um eine Best Practice Methode notwendig ist, sie aber ohne einen systemischen Ansatz, ohne die Entwicklung einer "fehlerfreundlichen" Projektkultur und ohne die Kleinen Schritte durch effektive Lessons Learned noch nie in einem Unternehmen zum Leben gebracht wurde.