Keine Angst vor dem PMO!

Neulich überraschte mich ein Unternehmen mit der Nachricht, sein erst vor wenigen Jahren eingerichtetes Projektmanagement-Büro "herunterzufahren". Der Büroleiter wechselt demnächst in ein anderes Unternehmen – kein Nachfolger soll bestimmt werden. Die verbleibenden drei Mitarbeiter sollen nur noch zur Pflege der PM-Software eingesetzt werden. Erstaunlich. Schockierend. Kein Einzelfall.

Keine Angst vor dem PMO!

Neulich überraschte mich ein Unternehmen mit der Nachricht, sein erst vor wenigen Jahren eingerichtetes Projektmanagement-Büro "herunterzufahren". Der Büroleiter wechselt demnächst in ein anderes Unternehmen – kein Nachfolger soll bestimmt werden. Die verbleibenden drei Mitarbeiter sollen nur noch zur Pflege der PM-Software eingesetzt werden. Erstaunlich. Schockierend. Kein Einzelfall.

Während Lehrbücher, PM-Gurus, Berater, Trainer, Coaches und Spitzenmanager von Notwendigkeit und Nutzen des Projektmanagement-Büros schwärmen, etliche PMOs tadellos laufen und zahlreiche gerade aufgebaut werden, gibt es erstaunlicherweise viele Topmanager, die sich mit Händen und Füßen dagegen wehren oder ihr bereits vorhandenes klammheimlich "stilllegen". Warum? Aus Angst. Ausgewachsene Manager haben Angst vor einem kleinen Projektmanagement-Büro?

Warum haben Manager Angst vor dem PMO?

Weil es Transparenz beschert. Das ist doch gut? Das sagt die herrschende Lehrmeinung. Die Praxis sagt leider oft etwas ganz anderes: Transparenz heißt nämlich auch Aufdeckung von Abweichungen. Und Abweichungen schaffen Rechtfertigungsdruck. Das ist die in Lehrbüchern gerne verschwiegene dunkle Kehrseite der Transparenz. Ein gutes Projektmanagement-Büro liefert alles: eine Liste aller Projekte, Stand aller Projekte inklusive – natürlich – aller Abweichungen und Entscheidungsbedarfe.

Und kaum liegt die Liste vor, ergibt sich eine mörderische Rechtfertigungsnot. Manager müssen sich vor angriffslustigen Kollegen rechtfertigen und vor besorgten Aufsichtsgremien: "Abweichung? Das darf nicht sein! Wer hat das zu verantworten?" Das ist unbequem. Deshalb ist es machtlogisch durchaus rational, wenn viele Manager sich dieser Unbequemlichkeit nicht dadurch zu entledigen versuchen, indem sie die Ursache des Rechtfertigungsbedarfs, sondern indem sie die Transparenz beseitigen. Die Milchmanagerrechnung: Je weniger Transparenz, desto weniger Rechtfertigungsbedarf! Böse, böse Entscheider? Auch das Projektmanagement-Büro ist nicht ganz unschuldig.

Büro oder Bürokratie?

Im eingangs erwähnten Unternehmen hatten die Entscheider aufgrund von massenhaft schlechter Projekterfahrung das PMO vor Jahren mit den besten Absichten eröffnet. Das Büro sollte die katastrophale Flopquote senken. Das tat es, indem es die Projekte von oben nach unten durchplanen ließ. Bis wirklich ganz nach unten. Ein Projektleiter rieb sich erstaunt die Augen: "Ich muss jede Tätigkeit durchplanen – stundengenau! Das ist doch Unfug!" Der Projektplan regelte durch bis auf die unterste Aktivitätenebene – und die Projektleiter kamen vor lauter Mikromanagement zu nichts anderem mehr. Sie verloren den Überblick.

Kein Wunder, dass sogar etliche Projektleiter aufatmeten, als die Geschäftsleitung das Downsizing des Projektmanagement-Büros durchsickern ließ. Auch für PMOs gilt: Man sollte es nicht übertreiben. Büro statt Bürokratie! Das ist die eine Seite des Problems. Die andere ist damit immer noch nicht gelöst: Transparenz.

Zu viel Transparenz!

Selbst mit seiner beispiellosen Bürokratie entwickelte das erwähnte PMO beachtliche Transparenz, zum Beispiel bei einem Projekt der Geschäftsleitung: "Kein Bedarf im Markt. Niemand braucht das wirklich!", vermeldete das Büro nach zwei Jahren Projektlaufzeit und sieben Millionen Euro verbrauchtem Budget. Der Geschäftsführer reagierte gereizt, stufte das Projekt als "strategisch wichtig" und damit unantastbar ein – und als ein Jahr später der PMO-Leiter ein tolles Job-Angebot woanders bekam, wurde sein Posten nicht mehr besetzt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Wie ein Projektleiter es ausdrückte: "Ein unbequemes Projektmanagement-Büro – das macht denen da oben natürlich Angst." Eigentlich erstaunlich: Die großmächtigen Entscheider fürchten das kleine PMO! Völlig zu Unrecht. Denn: Transparenz muss keine Angst machen.

Das angstfreie Büro

Es ist nicht Transparenz an sich, die Angst einflößt. Es ist die Art und Weise, wie sie das Büro übermittelt: Einem Geschäftsleiter über sein Projekt zu sagen: "Niemand braucht das wirklich!", zeugt eben nicht in erster Linie von Transparenz, sondern von mangelnder Kommunikationskompetenz. Da muss sich kein PMO-Mitarbeiter wundern, wenn ein mächtiger Hierarch Stimmung gegen ihn und sein Büro macht. Wer auf vorwurfsvolle oder gar hämische, auf kalt-technokratische oder respektlose Weise überkommuniziert, verscherzt Vertrauen.

Dasselbe passiert bei Unterkommunikation, Beispiel neuer Berliner Flughafen. Da unterkommunizierte das Büro in bester Absicht lange Zeit allfällige Abweichungen – bis die Bombe kurz vor der geplanten Eröffnungsfeier platzte und Panik ausbrach: Ein Büro, das Abweichungen zu spät, schöngefärbt oder überhaupt nicht nach oben durchmeldet, macht letztendlich auch Angst. Der Klassiker ist der PMO-Mitarbeiter, der seinen vor dem Entscheidergremium berichtenden Projektleiter "hängen" lässt. Der Projektleiter weist warnend auf Abweichungen hin, der Büromitarbeiter beschwichtigt die Entscheider: "Alles halb so wild – das biegen wir schon zurecht!" Bis das dicke Ende kommt. Und damit die Angst.

Mit Mächtigen reden

PMO-Mitarbeiter unter- und überkommunizieren meist nicht aus Bequemlich- oder Gehässigkeit, sondern weil ihre Qualifikation in Kommunikationskompetenz nicht mit der Qualität ihrer Projektmanagement-Qualifizierung mithalten kann – hier haben viele Trainingsprogramme einen blinden Fleck. Zu einer vollständigen PM-Qualifikation gehört eben auch das Modul: "Wie rede ich so mit Mächtigen, dass sie stressfrei zuhören?"

Es gibt etliche Projektmanagement-Büros, vor denen kein Mächtiger Angst hat. Warum nicht? Weil diese nicht unter- oder überkommunizieren, sondern meist mit einer Variante des Harvard-Prinzips: Klar in der Sache, aber stets fair im Umgang. Das heißt: Klare Ansprache von Abweichungen – aber immer verbindlich, respektvoll und ohne Panikmache oder Vorwürfe. Große Beharrlichkeit – aber noch größere Höflichkeit. Klare Bitte um Entscheidung – aber auf Basis von mitgelieferten Lösungsalternativen. Da liegt der Haken.

Transparenz braucht Lösungen!

Erstaunlich aber wahr: Viele PMO-Mitarbeiter (und Projektleiter) präsentieren die aktuellen Abweichungen – ohne Lösungsoptionen. Die "furchterregenden" PMO-Mitarbeiter erklären dann gerne: "Wie auch? Fürs Lösungen Ausknobeln fehlt mir die Zeit!" Die "Best in Class" dagegen sagen: "Wenn ich eine Abweichung melde, muss ich auch Lösungsvorschläge machen – sonst können die Entscheider doch nicht im Sinne des Projekts entscheiden!" Das macht Sinn: "Hier sehen Sie die Abweichung, wir haben damit die erwünschte Transparenz – und hier sehen Sie schon mal vier Lösungsoptionen. Suchen Sie sich die Passende aus!"

Wenn Transparenz so präsentiert wird, muss kein Entscheider Angst vor der Entscheidung, vor Transparenz, vor dem Projektleiter, vor dem Projekt… oder vor dem Projektmanagement-Büro haben.

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Alle Kommentare (2)

Georg
Angermeier
Dr.

Hallo Herr Tumuscheit, vielen Dank für Ihre sehr prägnanten Beispiele und daraus abgeleiteten Analysen. Ich setze mich aus gegebenen Anlass (ein mittelständischer Hidden Champion) gerade mit diesem Themenbereich auseinander. Man könnte dies mit einem Schlagwort beschreiben: "Mangelnde Enterprise Project Governance / Governance of Projects". Das Dumme nur an Schlagworten ist, dass sie den betroffenen Unternehmen und Projektleitern nicht helfen, sondern nur ein Buzz-Word zum Jammern geben. Ihr Plädoyer, dass Abweichungen nur in Verbindung mit einem oder mehreren Lösungsvorschlägen gemeldet werden dürfen, unterstütze ich voll und ganz - allerdings meine ich, dass sich dies an Projektleiter und an Auftraggeber und nicht an PMO-Verantwortliche richten sollte. Als erstes stellen Projektleiter Steuerungsbedarf fest und werden entsprechend ihrer Möglichkeiten handeln. Wenn diese nicht mehr ausreichen, dann wird der Projektleiter eine Abweichung (PRINCE2 spricht hier von "Ausnahmesituation") an den Lenkungsausschuss melden - zusammen mit einem Lösungsvorschlag natürlich. Die Verantwortung eines PMOs sehe ich eher darin, dass es gegenüber den Projektleitern dafür sorgt, dass diese rechtzeitig eskalieren. Vor allem aber sollte ein PMO darauf bestehen, dass jedes Projekt einen validen, von der Geschäftsführung genehmigten Business Case hat. Allein diese beiden Maßnahmen machen meiner Meinung nach ein PMO bereits bezahlt. Allerdings auch bei patriarchalisch denkenden Führungskräften unbeliebt - die Rechtfertigung wird nämlich noch vor Projektbeginn eingefordert. Ein PMO erfüllt meiner Meinung nach seine Aufgabe völlig, wenn es "Transparenz" von allen Projektbeteiligten einfordert, Lösungen auszuarbeiten gehört meiner Meinung nach nicht zu den Aufgaben des PMO. Dies liegt vielmehr in der Verantwortung von Auftraggeber und Projektleiter, je nachdem, welches Problem zu lösen ist. Viele Grüße Georg Angermeier

 

Stefan
Pfeifer

Ein wichtiger Punkt, warum PMOs als unnötig bezeichnet werden, ist oft die Tatsache, das diese kaum die Chance haben Risiken vorzeitig zu erkennen. Wenn ein PMO nur als Reporting und Transparanztool gesehen wird, werden sich die Erwartungen, ein besserer Projektmanagement, nicht erfüllen. Ein PMO muss einen serviceorientierten Charakter haben, ProjektleiterInnen unterstützen, administrative Tätigkeiten abnehmen und beratende zur Seite stehen. Ein gutes PMO fragt sich jeden Tag auf neue: Wie kann ich dafür sorgen, dass sich meine ProjektleiterInnen auf Ihre Kernfunktionen fokussieren können? Wenn man diese Frage als Prio1 und Reporting als Prio2 deklariert, ergibt sich schon nach kürzester Zeit ein Akzeptanzgewinn. Wenn ein PMO nur als Kontrollwerkzeug angesehen wird, schafft das folgende, meist unbewusste Assoziation wie mangelndes Vertrauen der Geschäftsleitung oder sinnlose Dokumentationsgestaltung.