Sind Chefs die besseren Projektleiter?

"Hier kocht der Chef!" Das spricht für Qualität – im Restaurant. Auch im Projekt? Idealerweise ist der Chef Chef geworden, weil er zumindest in einigen Belangen wirklich gut ist. Besser als "normale" Mitarbeiter. Also sollte man besonders wichtige Projekte doch wohl Vorgesetzten geben! Einverstanden? Nein. Bloß weil jemand vorgesetzt ist, heißt das nicht, dass er der bessere Projektleiter ist. Im Gegenteil.

Sind Chefs die besseren Projektleiter?

"Hier kocht der Chef!" Das spricht für Qualität – im Restaurant. Auch im Projekt? Idealerweise ist der Chef Chef geworden, weil er zumindest in einigen Belangen wirklich gut ist. Besser als "normale" Mitarbeiter. Also sollte man besonders wichtige Projekte doch wohl Vorgesetzten geben! Einverstanden? Nein. Bloß weil jemand vorgesetzt ist, heißt das nicht, dass er der bessere Projektleiter ist. Im Gegenteil.

Ein mittelgroßes Handelsunternehmen. Das Projekt: Reorganisation der Logistik. Der Projektleiter ist identisch mit dem Logistikleiter. Das Projekt läuft seit einem Jahr, da ruft mich der Logistik- und Projektleiter an: "Wir kommen nicht voran! Ich weiß nicht, wie das weitergehen soll!"

Ich bin erst mal geschockt. Denn vor etwas mehr als einem Jahr war ich zum Start des Großprojekts im Unternehmen und habe mit dem Logistikleiter und zwei leitenden Angestellten einen Intensiv-Workshop gehalten zum Thema "Wie planen und steuern wir unsere Projekte?" Funktioniert das alles etwa nicht? Ich packe eilends den Koffer.

Ein Chef wird weich

Als ich ankomme, wird schnell klar: Ob die damals trainierten Arbeitstechniken funktionieren oder nicht, kann kein Mensch sagen – denn sie werden nicht angewandt. Nicht so wie besprochen, trainiert und dokumentiert. Um nur ein Manko zu nennen: Es wurden, natürlich, viele Arbeitspakete definiert – aber viele eben ohne Abnahmekriterien! Ohne diese lieferten die Teammitglieder das ab, wovon sie annahmen, dass der Chef es haben möchte.

Da die Teammitglieder keine Telepathen sind, lieferten sie zwangsweise Unfug – waren aber total davon überzeugt, Hervorragendes geleistet zu haben. Ist irgendwie logisch, wenn keiner weiß, woran Ergebnisse eigentlich gemessen werden sollen. Nach einem Jahr in diesem Stil wusste keiner, wo man effektiv stand – aber jeder ahnte, dass man schrecklich im Verzug war und auf keinen Fall ein vorzeigbares Ergebnis würde abliefern können.

Als nach stundenlanger Krisensitzung immer klarer wurde, dass die Ursache dafür in der mangelhaften Anwendung der Arbeitstechniken liegt, drängte sich den Beteiligten die Frage auf: Warum hat der Chef sich denn nicht an die vereinbarten Planungs- und Steuerungsinstrumente gehalten? Simple Antwort: Weil er der Chef ist.

Das Gegenteil von Arroganz

Außenstehende vermuten in so einem Fall spontan: "Ja, klar, die Arroganz der Mächtigen: Der Chef meint, er müsse sich nicht an Vereinbartes halten, weil er der Chef und damit was Besseres ist!" Nichts stimmt weniger. In den ersten Projektwochen wäre der vorgesetzte Projektleiter durchaus noch bereit und in der Lage gewesen, korrekt zu steuern.

Das beobachte ich bei vielen Projektleiterchefs: Sie wollen schon, aber sie tun es nicht. Denn es kommen ständig Teammitglieder zu ihnen und klagen: "Ach Chef, so kompliziert müssen wir das alles doch gar nicht machen!" Hintergedanke: Arbeitstechniken schaffen Transparenz. Je mehr Transparenz, desto eher sieht der Vorgesetzte, was ein Teammitglied wirklich leistet – und das empfinden einige als wenig wünschenswert. Deshalb führen sie den Chef in Versuchung.

In unserem Beispiel dachte dieser, wie viele andere Vorgesetzte auch: "Ich überfordere die Leute? Dann sollte ich mal halblang machen – ich bin ja kein Unmensch. Wenn die Leute stöhnen, muss ja was dran sein." Überspitzt gesagt: Ein guter Chef ist oft ein schlechter Projektleiter – gut im Sinne von: nachsichtig, kollegial, konziliant, kulant. Was fehlt solchen Chefs?

Die letzte Konsequenz

Ich erinnere mich noch gut an meine frühen Zeiten als junger Projektleiter. Auch zu mir kamen einige Teammitglieder (es sind immer dieselben) mit der Klage: "Muss das denn so umständlich sein?" Am Anfang fiel auch ich darauf herein – und schwupps war die Transparenz futsch und der nächste Meilenstein geriet ins Schlingern.

Ich lernte schnell: Man kann als Projektleiter vieles sein – aber wenn man nicht konsequent ist, muss man die Konsequenzen der eigenen Inkonsequenz büßen. Chefs fallen dieser Versuchung schneller und leichter zum Opfer, eben weil sie Chefs sind: Ihre Rolle als Projektleiter kollidiert oft mit ihrem Rollenverständnis als Vorgesetzter, in dem auch (oft, nicht immer) viel Fürsorglichkeit für die eigenen Mitarbeiter und Angst vor dauerhaft belasteten Arbeitsbeziehungen mitschwingt. Diese Fürsorglichkeit sei keinem/r genommen, jedoch: Wird sie nicht mit Konsequenz gepaart, beschwört man das Chaos herauf.

Kein Chaos!

Wenn eine bestimmte Arbeitstechnik mit Konsens eingeführt und trainiert wird, wenn alle sagen "Ja, so machen wir das und nicht anders!", dann achtet ein kluger Projektleiter – Chef oder nicht – peinlich genau darauf, dass das auch tatsächlich so gemacht wird. Das halten viele (Unkundige) für bürokratisch oder penibel. Das ist aber schlicht konsequent und zielführend.

Die konsequent wiederholte Forderung nach Einhaltung aller vereinbarten Arbeitstechniken und die konsequente Beobachtung der Einhaltung gehören zum täglichen Job eines guten Projektleiters. Die eigenen Teammitglieder immer und immer wieder darauf hinzuweisen, die Säumigen beziehungsfreundlich aber klar zu erinnern und die technisch korrekt Arbeitenden zu loben – darin besteht ganz einfach ein Großteil der Steuerung eines Projekts.

Ein guter Projektleiter ist eben kein gütiger Onkel, der auch mal Fünfe grade sein lässt. Er ist eher wie ein Fußballtrainer, der einem Verteidiger, der schon den zweiten aufeinanderfolgenden Elfer verursacht, klipp und klar sagt: "Hör mit der Holzerei im Strafraum auf!" Aber macht man sich damit nicht unbeliebt? Das ist die große Angst vieler Projektleiter und Chefs.

Beliebt und erfolgreich

Gewiss: Man macht sich kurz unbeliebt, wenn man die Einhaltung der Arbeitstechniken konsequent verfolgt. Aber dieses "kurz" ist extrem kurz – und jeder, der auch nur ein wenig Mut und Frustrationstoleranz mitbringt, hält dieses "kurz" locker aus. Denn schon nach wenigen Wochen, wenn nicht Tagen, setzt der Aha-Effekt im Team ein und die Leute merken: "Unser Projektleiter ist zwar unerbittlich was die Einhaltung der Techniken angeht – aber wir sehen doch die Ergebnisse, die das bringt! Nur so kann's gehen."

Oft höre ich auch, dass die "Pappenheimer" sich hinter vorgehaltener Hand bei konsequenten Projektleitern bedanken: "Gut, dass Sie mich daran erinnern. Im Grunde weiß ich es ja selber, aber manchmal brauche ich die Erinnerung." Die großonkelhaft Nachgiebigen sind dagegen nicht wirklich beliebt – und respektiert erst recht nicht. Selbst etwas disziplin-schwache Teammitglieder erwarten von Führungskräften, dass sie führen, nicht kuscheln. Denn nur wer konsequent führt, führt zum Erfolg. Das sind die Früchte der Konsequenz. Ernten Sie sie!

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Alle Kommentare (5)

Guest

Klasse Bericht, der mir (als erfahrenen und konsequenten) Projektleiter aus der Seele spricht. Ich habe den Bericht an meinen Chef weitergeleitet.

 

Ursula
Ringwald

Guter Bericht. Ich bin Trainerin für PM-Seminare und vergleiche da die FK in der Linie immer mit einem Schäfer, der für seine Schäflein sorgt, sie zu saftigen Wiesen führt, damit sie gute Wolle entwickeln, sich um sie kümmert, wenn es ihnen nicht gut geht. Der PL ist dagegen der Schäferhund, der sie zu einem Ziel führt, sie ggf. auch mal in die Fesseln beißt, aber sie voran treibt. Einfach ganz unterschiedliche Führungsansprüche. Der PL muss relativ kurzfristig ein Ziel erreichen, die FK kann viel langfristiger planen. Aber manche Chefs glauben, sie können alles aus einer Hand managen und das gibt dann halt einen Rollenkonflikt. Dass man PM-Methoden im Workshop oder Seminar vermittelt, die dann in der Realität nur ganz wenig umgesetzt werden, obwohl die TN sie gut und richtig finden, ist für mich als Trainerin extrem frustrierend. Ist halt die Macht des bestehenden Systems... und stellt natürlich die Art, wie heute MA für PM geschult werden, deutlich in Frage. Mein Traum wäre viel mehr, Projekte zu begleiten und dabei die Methoden zu vermitteln. Wäre sehr viel sinnvoller!! Gruß Uschi

 

Guest

Vielen Dank für das anschauliche und überzeugende Praxisbeispiel. Meine Erfahrungen decken sich zum überwiegenden Teil mit den geschilderten Situationen des Praxisbeispiels. Für mich ist Konsequenz das A und O in der Führung. Damit verbunden ist natürlich die Entscheidungsstärke - insbesondere bei Unsicherheit über die Entscheidungskriterien. Nur der/die PL sollte im Konfliktfall die letzte Entscheidung treffen. Alle anderen (Soft-) Skills treten m.E. in den Hintergrund und können durchaus von Teilprojektleitern, bzw. Teilprojektleiterinnen oder von qualifizierten Teammitgliedern übernommen werden. Ich selber erlebe häufig Situationen, in denen eine Person zwei Rollen besetzt. Oft bin ich das selbst in der Rolle eines Dozenten. Einerseits vermittle ich den Studierenden PM-Themen, wie Werkzeuge und Methoden, spreche aber auch Themen wie Teamdynamik und Konfliktmanagement an. Andererseits stehe ich während der Phase, in der die vermittelten Kenntnisse angewendet werden sollen, als Coach, oder als Auftraggeber, oder als vom Projekt betroffener Stakeholder zur Verfügung. Nach meiner Wahrnehmung und aufgrund des eingeholten Feedbacks gelingt mir der Wechsel zwischen den einzelnen autentischen Rollen ganz gut. Allerdings sind die Studierenden anfangs irritiert davon. Es geht also m.E. nicht nur darum, dass ein Chef (in der Linienorganisation) auch ein guter Projektleiter ist, sondern auch um die Frage, ob das entsprechende Umfeld damit zurecht kommt. Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung zum Chef, der gleichzeitig auch in der Rolle eines PL ist und mit Projektteammitgliedern seiner Organisation einen Zielkonflikt hat. Wie leicht wäre es, diesen Zielkonflikt gar nicht erst entstehen zu lassen, indem ein qualifizierter Mitarbeiter die PL-Rolle übernimmt, quasi als Mittel zur Personalentwicklung. In diesem Fall hat dann dieser Mitarbeiter einen Zielkonflikt, der allerdings vom Chef 'leichter' begleitet werden kann.

 

Guest

Frau Ringwalds Wunschbild ist verständlich. Kurse haben halt den Nachteil, in die Theorie abstrahieren zu müssen, um für alle Teilnehmer übertragbar zu bleiben. Gute Kurse und Coaches schaffen es, den Lernstoff nicht nur zu lehren, sondern zu vermitteln - die Teilnehmer lernen nicht nur die Methode, sondern sie verstehen auch, warum sie das machen und warum die Anwendung so wichtig ist. Aber in der Natur des Menschen ist verankert, dass Learning by Doing am effektivsten ist, und hier wieder das Lernen aus Fehlern (Schmerzen) mehr als aus Erfolgen (war's Zufall, dass es geklappt hat?). Ergo ist wohl die erfolgreichste Lehrmethode, Menschen in Notlagen (z.B. in Krisenprojekten) aus ihrer Misere heraus zu helfen und sie zum Lösen der Schieflage zu coachen. In den vielen Projekten, denen ich wieder in die Spur helfen durfte, haben diejenigen Firmen am meisten gelernt und in ihre Praxis übernommen, deren bestehende Teams und Projektleiter ich doch noch zum Erfolg coachen durfte. Wo Maßnahmen in Eigenregie angegangen wurden, ist man meist leider schnell wieder zur Tagesordnung übergegangen, ohne an den wirklichen Ursachen der Probleme konsequent zu arbeiten. Ach ja, Chef als PL? Besser nicht, denn er hat in der Regel auch noch sein Tagesgeschäft, da drohen immer Zeit- und Zielkonflikte. Und er mag ein guter Manager sein (Definition siehe oben), aber meist kein "gelernter" Projektmanager.

 

Peter
Rösch

Grundregel: Der Chef kann Auftraggeber von Projekten sein, er kann Sponsor genannt werden, sicher ist er immer wieder Schiedsrichter, aber eines darf er nicht - mitspielen.