Wie viele Leben hat ein Projektleiter?

Sind wir noch zu retten? Wir trennen unser Leben in zwei oder mehr Teilleben und kultivieren die Trennung: "Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps!" Und dann kriegen wir unser Leben nicht mehr zusammengesetzt und brauchen Therapeuten, ja sogar Klinikaufenthalte, weil wir Pläne machen, die selbst Verwandlungskünstler kaum erfüllen können.

Wie viele Leben hat ein Projektleiter?

Sind wir noch zu retten? Wir trennen unser Leben in zwei oder mehr Teilleben und kultivieren die Trennung: "Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps!" Und dann kriegen wir unser Leben nicht mehr zusammengesetzt und brauchen Therapeuten, ja sogar Klinikaufenthalte, weil wir Pläne machen, die selbst Verwandlungskünstler kaum erfüllen können.

Nehmen wir einmal den fiktiven Projektleiter Manfred Schreuble. Er führte mindestens vier Leben, bevor er in der psychosomatischen Klinik nur noch sein nacktes Überleben wiederbeleben ließ. Vorher hatte er ein berufliches Leben (Projektleiter bei einem Maschinenbauer), ein Familienleben (eine Frau und drei Kinder), ein Vereinsleben (im Fußballverein war er Kassenwart und Trainer) und ein politisches Leben (er strebte für die nächste Wahlperiode den Bürgermeister-Posten an). Sein eigenes Leben war ihm längst abhandengekommen, er funktionierte nur noch.

Nachts träumte er den beliebten Traum "Wenn ich einmal Rentner bin,…!"

Langsam in Schieflage

Nach jahrelanger Zufriedenheit mit einem Familien- und einem Berufsleben geriet er nun schleichend aber totsicher in eine Schieflage. Als Maschinenbauingenieur mit Leib und Seele machte er Überstunden, bekam herausfordernde Aufgaben und kam oft spät nach Hause.

Seine Frau hatte nach Jahren als Kindergärtnerin die Leitung eines regionalen Verbunds mit 38 Kindergärten und über 300 Beschäftigten übernommen und nebenbei Sozialpädagogik studiert. Wegen der Kinder war sie zunächst zu Hause geblieben. Beide waren stolz auf ihren Erfolg, ihr Wahlspruch: "Alles eine Frage der Organisation!"

Einen Terminkalender hatten sie beide schon länger geführt und nach einer vorübergehenden kurzen Erschöpfungsphase nach dem Hausbau hatten sie angefangen, systematisch mehr Freizeitaktivitäten einzuplanen. Manfred ging zweimal die Woche ins Fitnessstudio, seine Frau zum Yoga-Training. Zudem lernte sich Türkisch, weil immer mehr türkischsprachige Kinder in die Kindergärten kamen.

Er tauschte seine aktive Zeit im Sportverein mit dem Posten des Kassenwarts und Trainer der Jugendmannschaft. Irgendwann beschloss er auf Drängen seiner Kollegen, Vereinskameraden und Nachbarn, das Bürgermeisteramt anzustreben. Alle versprachen sich etwas davon. Eltern und Schwiegereltern stolz, die Kinder hatten alles, was sie förderte und bei Laune hielt.

Verschiedene Leben – so perfekt wie möglich!

Schreuble achtete penibel darauf, dass seine Welten voneinander getrennt blieben. Er war stolz darauf, dass es nichts aus dem Betrieb mit nach Hause nahm und dass er sein Privatleben aus dem Unternehmen fernhielt, und dass eine Freizeit-Beschäftigung die andere nicht störte. Er lebte fast dichotom: Life or Work.

So viel Englisch können wir alle: Life heißt Leben und Work heißt Arbeit! Im einen Teil leben wir und arbeiten nicht und im zweiten Teil arbeiten wir – leben aber nicht? Unsere sogenannte "Freizeit", den Teil, den wir "Life" nennen, zergliedern wir immer mehr in immer mehr Termine und sind angestrengt bemüht, damit den Teil in Balance zu bringen, in dem wir arbeiten, aber nicht leben können?!

Irgendwann müsste uns doch auffallen, dass wir in unserem Leben gar nicht mehr vorkommen, sondern höchstens unser Leben im Kalender als Sammlung von "to dos" abhaken. Später, wenn wir alt sind, wollen wir dann viel reisen, die Welt sehen, ein Musikinstrument lernen, uns mit etwas wirklich Interessantem beschäftigen.

Warum brauchen wir eigentlich erst einen regelrechten Zusammenbruch, um dann in einer psychosomatischen Klinik mit einem "Burnout" zu landen und dann die beiden Teil-Leben in einem langwierigen therapeutischen Prozess wieder zusammenzubringen? Das nennen wir nicht "verrückt", sondern "Work-Life-Balance", geben viel Geld dafür aus und kultivieren die Hoffnung, dass wir danach gesund alt werden.

Die Realsatire der Work-Life-Balance-Bemühungen

In meiner Coaching-Praxis kommen Menschen vor, die mehrfach täglich von der einen Welt in die andere wechseln. Und das betrifft Kleidung, Fahrzeuge, die Art zu sprechen, den Besuch von Gaststätten, den Konsum von Literatur, Musik und Kunst, die Pflege von Bekanntschaften und Freundschaften.

Mit Hilfe eines individuellen Währungssystems wird die "Balance" gehalten. Vier Stunden "Work-Elemente" werden durch zwei "Life-Elemente" wieder ausgeglichen. Je nach internem "Wechselkurs". Schlaf wird gesondert fakturiert, ebenso Urlaub und "Hobbys". Auf jeden Fall steht fest: Bei "Work" kommt "Life" nicht vor und umgekehrt. Soweit kann es gehen.

Mein türkischer Gemüsehändler lacht über "uns Deutsche" und ist den ganzen Tag Gemüsehändler, auch abends und nachts. Und als solcher hat er Frau und Kinder und abends frei. Er spielt nicht Fußball, aber als Bremer geht er zu Werder. Er hat sich diesen Beruf aus Leidenschaft ausgesucht. Beneidenswert oder? Und keiner, ich schwöre, keiner hat so gute Artischocken wie er.

Alles Unsinn? Psycho-Blabla? Ich freue mich auf Ihre Beiträge!

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Alle Kommentare (12)

Guest

Ziemlich treffende Analyse auf jeden Fall... ich denke man lernt irgendwann aus der ganzen Erfahrung was im "Leben" wichtig ist... und dabei den Zeit- und Leistungsdruck etwas zu "relativieren" um sowohl Berufs- als auch Privatleben besser zu geniessen ;-)

 

Liebe Frau Adjami! Sie sprechen eine wichtigen Punkt an: Prioritäten setzen. Das kann man, wenn man sich selber wirklich ernst nimmt und dann entscheiden kann, was im "Leben" wirklich wichtig ist. Manch einer hat wohl das Problem, dass er verlernt hat oder aberzogen bekam, sich selbst ernst zu nehmen (das gilt bei uns ja oft als "Egoismus". Ich wünsche Ihnen viel Genus im und beim Leben insgesamt! Detlef Scheer

 

Guest

Vielen Dank für diesen Beitrag. Es spricht mich sofort an und lässt nachdenklich werden. Vor allem das "so perfekt wie möglich" würde ich mir wünschen, dass es in der Gesellschaft zu einem "Gut ist auch mal gut genug - es muss nicht perfekt sein." wird. Sowohl im Privaten als auch im Job.

 

Guest

Antwort auf von Gast (nicht überprüft)

Danke, Frau H. ! Man kann sogar sagen, der Perfektionismus ist einfach viel zu teuer. Er kostet zu viel, wenn es "schief geht". Zu viel Nerven, zu viel Kranke und tatsächlich ja auch Tote, häufig durch notwendige "Reparaturarbeiten" auch viel zu viel Geld. Und es kommt ja hinzu: Für eigentlich recht wenige Arbeiten/Projekte/Aufgaben gibt es gültige Kriterien für "perfekt". Die Wahrscheinlichkeit zu Scheitern im Sinne von Versagen wird stattdessen immer höher, auch wenn der Nutzen nicht mehr steigt. Siehe das von Ihnen angesprochene "Pareto-Prinzip". Herzliche Grüße, Detlef Scheer

 

Guest

Diese Verhaltensweise ist im Projektmanagement sehr häufig anzutreffen. Oft wird aus Selbstschutz versucht, es jedem recht zu machen, nur einem selber nicht. Probleme im Job oder im Privaten kann man zwar trennen, aber keiner ist in der Lage, sein Gehirn in Job und Privat zu trennen. Daher muss versucht werden, die Probleme zu lösen. Denn wer erfolgreich seine beruflichen Themen lösen kann, wird auch im privaten ausgeglichener sein und anders herum, wer privat in der Krise steckt, wird im Job auch nicht zu Höchstleistungen bereit sein. Manchmal ist es sogar besser, sich von Sachen zu verabschieden, die nicht zu einem passen (im Job und im Privaten).

 

Heinz-Detlef
Scheer

Antwort auf von hans-peter.hol… (nicht überprüft)

Hallo Herr Holz! Manches Mal ist es sogar die entscheidenden Kunst, das richtige wegzulassen. Der Bildhauer Henry Moore sagte einmal sinngemäß als "Rezept", wie er denn seine Figuren / Plastiken zu solchen Gesamtkunstwerken zurechtformte: "Man muss einfach das weghauen, was nicht dazu gehört". die Figur steckt ja da drin..." Vielleicht hilft einem das auch bei der Gestaltung seiner eigenen Persönlichkeit und seiner "Karriere" angesichts einer stetig steigenden Flut von Möglichkeiten. Ganz herzlichen Gruß, Detlef Scheer

 

Guest

Fuer mich geht dieser Beitrag in die falsche, wenn nicht gefaehrliche Richtung. Verraeterisch ist der Gemuesehaendler der den ganzen Tag Gemuesehaendler ist. - Nicht etwas den ganzen Tag Familienvater. Der Ansatz ist zwar richtig wird aber durch den Alltag in die Realitaet von Anfang an in eine Schieflage gebracht. Viele Arbeitsvertraege verlangen eine 40 Stunden Woche mit Kernarbeitszeit. Auch wenn nichts wirklich wichtiges anliegt, wird auf diese Kernarbeitszeit bestanden, Mehrarbeit (gerne auch unbezahlt) ist selten ein Problem. Fuer mich ist es immer ein guter Kennwert wenn wir die Entschuldigung, "Ich habe keine Zeit" durch das das ersetzen was es im Kern ist: "Mir sind andere Dinge wichtiger". Das ist nichts verwerfliches, sollte aber nachdenklich machen um zu unterscheiden was Wichtig und was dringend ist. MIt diesem Ansatz heben sich meiner Erfahrung nach die Grenzen zwischen den verschiedenen Leben auf - Wenn diese aehnliche Prioritaet besitzen. Der Job sollte Spass machen, keine Frage. Aber der Hauptzweck einer Arbeit ist am Ende die Grundlage fuer ein gutes Leben fuer mich und meine Familie zu schaffen.

 

Heinz-Detlef
Scheer

Antwort auf von Gast (nicht überprüft)

Liebe Frau/lieber Herr Winkler! Ich sehe da gar keinen großen Widerspruch. Die Aussage "ich bin den ganzen Tag Familienvater ist für mich keine bessere Lösung. Eher die Ausrede "ich habe keine Zeit" richtigstellen in "ich nehme mir keine Zeit"! Da sind wir uns doch einig! Sich selbst als Regie und als Ganzes wahrzunehmen ist wichtig. Dann kann man Prioritäten setzen, was mein Gemüsehändler tut. Ich finde es steht uns nicht zu, darüber zu urteilen, als was er sich als Basis sieht. Außerdem verdient er ja auch nur sein Leben, sozusagen. Was an einem Gedankenaustausch dieser Art "gefährlich" sein soll, kann ich leider nicht nachvollziehen. Herzliche Grüße Detlef Scheer

 

Hallo Herr Scheer, (Sorry mein Vorname ist Franz, daran hatte ich garnicht gedacht). Mein Anliegen ist, dass es weniger ein Problem der getrennten Leben ist, als es im Grunde eine Frage der Prioritaeten ist. Deshalb ist es ein grosser Unterschied ob ich mir "keine Zeit nehme" oder ob ich andere Prioritaeten habe. Ich (ver)urteile ja auch nicht wie man seine Prioritaeten setzt, ich galube nur dass sich das Problem getrennter Leben sich mit den Setzen von Prioritaeten ergibt. Gehe ich zur Arbeit so liegen meine Prios hier hoeher als zu Hause und umgekehrt. Auf diese Weise werden verschiedene "Leben" stufenlos miteinander verbunden, oder, im Extremfall, eben nicht. Ich sehe auch gar keinen Widerspruch zu Ihrem Artikel, ich halte es eher fuer einen Denkansatz um Ihrem beschriebenes Problem zu entkommen. Mit freundlichen Gruessen Franz Winkler

 

O.K., lieber Herr Winkler, so sehe ich das auch. Schönen Sonntag noch, Detlef Scheer

 

Guest

Ob wir am Arbeitsleben teilnehmen und an welchem Arbeitsleben und in welchem Umfang, darüber können wir ja nicht so einfach frei und willkürlich entscheiden. Viele sind froh, wenn sie irgendeinen Job mit schlechten Arbeitsbedingungen aber gerade noch erträglicher Entgelt ergattern. Und diejenigen mit einem besseren Job mit höherem Verdienst und Anforderungen fürchten nichts mehr, als den beruflichen Abstieg. Daher sind sie gezwungen und bereit, sich blindings den Anforderungen des Erwerbslebens zu unterwerfen - und auch ihr Privatleben, ihre Beziehungen, ihre Hobbys. Die Trennung in Beruf und Privat ist dann eher eine Schutzreaktion. Diese individuellen Erfahrungen sind Ausdruck der ökonomischen Funktionsweise unserer Gesellschaft. Gegenstrategien sollten daher individuelles Verhalten mit betrieblichen und politischen Elementen verbinden, zB mit einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung - auch für Projektmanagement und Führungskräfte.

 

Heinz-Detlef
Scheer

Lieber Herr Wachter! Sie sprechen einen sehr wichtigen Punkt an! Danke für Ihren Beitrag: Wir driften immer mehr auf eine kollektive Selbstausbeutung zu. Diese wird von immer mehr Menschen als unausweichlich aus immer denselben Gründen beklagt‚ es sind die Umgebungsfaktoren, die anderen, die Globalisierung, die Gesellschaft usw. Manchmal hat man in Führungskreise den Eindruck, dass diese Zwänge inzwischen zum Statussymbol geworden sind. Natürlich muss das Ganze auf politischer, gesellschaftlicher, vielleicht philosophischer Ebene besprochen und verhandelt werden. Vermutlich auch der betrieblichen Ebene. Das ist ja vollkommen richtig! Nur gibt es für mich absolut keinen Grund dafür, nur weil es bei bestimmten prekären Jobs möglicherweise kaum Handlungsspielraum gibt, den Spielraum, den man tatsächlich hat, nicht zu nutzen. Und es gibt keinen Grund, dass die, die etwas tun könnten, nicht einmal mehr für sich selber sorgen!!! Ich begegne immer mehr Kunden, die sich selbst durch ähnliche Fallen in immer stabilere Opferperspektiven bringen, … und die prima Möglichkeiten hätte, auszusteigen (oder besser „einzusteigen“). Eine Formulierung (und da bin ich Ihnen dankbar und überhaupt nicht böse oder so etwas!), die eben mehr als eine Formulierung ist, ist mit besonders bemerkenswert. Sie schreiben: „ … Und diejenigen mit einem besseren Job mit höherem Verdienst und Anforderungen fürchten nichts mehr, als den beruflichen Abstieg. Daher sind sie gezwungen und bereit, sich blindlings den Anforderungen des Erwerbslebens zu unterwerfen - und auch ihr Privatleben,….“ Das heißt also: … fürchten nichts mehr, als …., deshalb sind sie gezwungen … Und das bedeutet: Weil ich etwas entscheide (unbedingt einen „Abstieg“ zu vermeiden), bin ich gezwungen…. Gezwungen heißt, ich bin dann für die Folgen nicht verantwortlich, also nicht schuld. Kosten: Erstarrung, Gewinn: keine Schuld. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich glaube, dass Sie das vielleicht gar nicht genauso meinten, es begegnet mir aber zunehmend als ehrlich gesagt eher gruseliges, weil tragisches Element der Selbstverhinderung in der wachsenden Gruppe der sich selbst ausbeutenden (und auch deswegen nicht unbedingt besser leistenden) Menschen, die sich schließlich an mich wenden, weil sie alleine aus dieser Falle nicht mehr herauskommen. Auch deswegen danke ich Ihnen für den Beitrag! Ich meine, alle, die die Möglichkeit haben, sollten sie wahrnehmen und zwar erstens für sich selbst und zweitens auf gesellschaftlicher Ebene. Sonst landen wir in einer überlasteten, kranken, dekadenten Überleistungsgesellschaft, die niemandem mehr Spaß macht. Ganz herzlichen Gruß, Detlef Scheer