Wie Unterschiede zu Kraftquellen werden

"Mein Kollege ist ganz anders als ich!", stöhnt ein Kunde und erwartet offensichtlich Mitleid. Das mir auf der Zunge liegende "Na, da haben Sie ja richtig Glück gehabt!" schlucke ich herunter, ringe mich stattdessen zu einem leidlich professionellen "Wie meinen Sie das genau?!" durch. "Er hat häufig eine ganz andere Meinung und sowieso auch andere Herangehensweisen als ich…, das kann ja nicht gutgehen!" "Unterscheide ohne zu trennen." lautet das Motto des diesjährigen PM Camps in Dornbirn und der dazugehörigen Blogparade. Ich selbst kann bei diesem Thema nicht anders, als an meine Eltern zu denken: "Wie war das 1951 beim 'Projekt Neuanfang' der beiden?

 

Wie Unterschiede zu Kraftquellen werden

"Mein Kollege ist ganz anders als ich!", stöhnt ein Kunde und erwartet offensichtlich Mitleid. Das mir auf der Zunge liegende "Na, da haben Sie ja richtig Glück gehabt!" schlucke ich herunter, ringe mich stattdessen zu einem leidlich professionellen "Wie meinen Sie das genau?!" durch. "Er hat häufig eine ganz andere Meinung und sowieso auch andere Herangehensweisen als ich…, das kann ja nicht gutgehen!" "Unterscheide ohne zu trennen." lautet das Motto des diesjährigen PM Camps in Dornbirn und der dazugehörigen Blogparade. Ich selbst kann bei diesem Thema nicht anders, als an meine Eltern zu denken: "Wie war das 1951 beim 'Projekt Neuanfang' der beiden?

 

"Mein Kollege ist ganz anders als ich!", stöhnt ein Kunde und erwartet offensichtlich Mitleid. Das mir auf der Zunge liegende "Na, da haben Sie ja richtig Glück gehabt!" schlucke ich herunter, ringe mich stattdessen zu einem leidlich professionellen "Wie meinen Sie das genau?!" durch. "Er hat häufig eine ganz andere Meinung und sowieso auch andere Herangehensweisen als ich…, das kann ja nicht gutgehen!"

"Unterscheide ohne zu trennen." lautet das Motto des diesjährigen PM Camps in Dornbirn und der dazugehörigen Blogparade. Ich selbst kann bei diesem Thema nicht anders, als an meine Eltern zu denken: "Wie war das 1951 beim 'Projekt Neuanfang' der beiden? – Gleich und Gleich gesellt sich gern?" Dann wäre ich nicht Psychologe geworden, nicht einmal geboren worden. Viele Fragen wären nie aufgetaucht, nie beantwortet worden, andere nie offen geblieben.

Die eigene Familie als Projekt

Das Weltbild meiner Mutter war mit dem 'Tausendjährigen Reich' untergegangen, gemeinsam mit dem größten Teil ihres Selbstverständnisses und ihres Selbstwertes. Ihre 'Herrenrasse' hatte bewiesen, dass Engstirnigkeit, Arroganz und der Anspruch, als einzige im Besitz der Wahrheit zu sein, selbst unter selbstmörderischem Einsatz und größten Opfern ins Verderben führen müssen. Ich hoffe, dass diese schreckliche Zeit wenigstens als immerwährendes Mahnmal einen Beitrag dazu leistet, dass die Menschen die Unterschiedlichkeit des anderen anerkennen sowie respektieren und es stimmt mich traurig, dass es aktuell in Deutschland den Anschein hat, als würden die Menschen wieder den Lügen von zum Teil auch rassistischen Demagogen Glauben schenken.

Auch mein Vater hatte nach 1945 Grund zu hadern. Er hatte den Großteil der 'tausend Jahre' in Gefängnissen, KZs und Todeszellen verbracht, weil er den Sieg der Nazis nicht kampflos hinnehmen wollte. Gemeinsam mit ein paar anderen Unerschrockenen stellte er sich ohne Waffen dem bis an die Zähne bewaffneten, skrupellosen Regime in den Weg.

Ich selbst hatte schon sechs Jahre vor meiner Geburt großes Glück, denn meine Erzeuger hatten fast alles verloren. Sie besaßen aber die Überzeugung, dass die Welt erfolgreich von ganz unterschiedlichen Menschen gestaltet werden kann. (Der eine hatte sie sich auch in Haft bewahrt, die andere hatte aus dem Scheitern der 'Herrenrasse' gelernt.) Der beste Beweis für die Kraft dieser Überzeugung bestand in der Tatsache, dass die beiden bei aller Verschiedenheit ein neues gemeinsames Projekt begannen.

Dabei standen die Vorzeichen schlecht – nicht nur bezogen auf ihren Werdegang bis dahin, sondern auch in Bezug auf Ihre Zukunftspläne. Meine Mutter wollte über Bremen in die USA auswandern; mein Vater Journalist werden. Deswegen fuhr er zum amerikanischen Generalkonsulat am späteren Präsident-Kennedy-Platz. Statt einen Artikel über sich verdrückende Alt-Nazis zu schreiben, warf er seinen Artikelentwurf weg – und sie ihr frisch ausgestelltes Visum.

Ich wurde, nach meiner Schwester, ihr zweiter Beitrag zur Wiederbelebung des deutschen Teils der Menschheit und kam jahrzehntelang nicht von der Frage los, was diese beiden Menschen angetrieben hatte, sich zusammenzutun und ausgerechnet mich zu zeugen.

Bedingungen ändern sich, das Projekt besteht

40 Jahre lang blieben meine Eltern ein Team, bis zum letzten Atemzug meines Vaters. Meine Mutter wurde eine bei Kindern und Eltern –weniger bei Behörden – beliebte Lehrerin. Von den Schülern meiner Mutter gingen nach der vierten Grundschulklasse 90% aufs Gymnasium; meine Mutter hatte Ihnen nicht nur englisch beigebracht, sondern sie auch sexuell aufgeklärt. Kam ich nachts nach Hause, traf ich häufig noch Eltern der Schüler an.

Mit meinem Vater konnte ich mich leicht identifizieren: Schließlich war er Widerstandskämpfer, also gewissermaßen eine Art Held. Ich selbst lernte Cello, hatte meine erste Freundin und die Trennung bald hinter mir, ruinierte meinen linken Zeigefinger beim Moped-Basteln und wurde Zivildienstleistender in einer Deutschen Jugendherberge, in der ich nach kurzer Zeit den Herbergsvater vertrat. Für meine Verhandlung schrieben mir meine beiden Eltern jeweils eine Zeugenaussage, aus ihrer individuellen Perspektive und gerade deswegen überzeugend – der wahrscheinlich handfesteste Beleg dafür, wie sehr ich von der Unterschiedlichkeit der beiden profitiert habe.

Eine weitere Errungenschaft unserer vierköpfigen Familie (und unserer Verschiedenartigkeit) ist die Erfindung des Komponentenessens in den 70er-Jahren. Mein Vater aß aus moralischer Überzeugung kein Fleisch (nur selten machte er eine Ausnahme), ich selbst war noch rigoroser, weil Fleisch mich seit der Aufklärung über dessen Herkunft anekelte. Meine Schwester aß Fleisch nur wenn es noch blutig war und bei meiner Mutter schlug bei diesem Thema Ihre Prägung aus einer wenig friedlichen Epoche durch, wenn Sie verkündete: "Ein deutscher Soldat kann nicht kämpfen, wenn er kein Fleisch ist!" Also aß jeder etwas anderes – dennoch versammelten wir uns mittags immer an einem Tisch und fast nie fiel ein böses Wort über die Essgewohnheiten des anderen. Wir akzeptierten die Vorlieben und Abneigungen des anderen, blieben uns selbst dabei aber jeweils treu. Auch hat meine Mutter nicht alleine gekocht und abgewaschen, jeder trug seinen Teil bei.

Viele meiner Freunde verstanden kaum, was bei uns los war, wurden aber neidisch, weil Sex, Rock 'n' Roll, Mopeds und Auslandsaufenthalte ohne Eltern schon ab dreizehn Jahren für meine Schwester und mich selbstverständlich wurden. Jedoch interpretierten wir beide unsere Freiheiten ganz verschieden. Meine Schwester war sechs Jahre älter als ich. Als sie bereits studierte – 700 km von zu Hause entfernt und mit ganz anderen Interessen als ich – kam sie dennoch mit mir und einigen Klassenkameraden mit auf eine Paddeltour die Weser runter. Die anderen Eltern hätten es nicht ertragen, fünf 13-14jährige ohne "Erwachsenen" auf so einer Tour zu wissen.

Unterschiede trennen nicht, sie bereichern!

Später lernte ich Groß- und Außenhandel und studierte danach Psychologie. Für meinen Beruf als Coach stellt meine widerspruchsgeladene Biographie heute eine Kraftquelle dar: Ich helfe Menschen, die sich in Ihren Widersprüchen verstrickt fühlen, indem ich sie dabei unterstütze, Widersprüche als unterschiedliche Konstruktionen derselben Wirklichkeit zu erkennen und wenn möglich für sich zu nutzen. Niemand wirft eine Münze weg, nur weil die beiden Seiten unterschiedlich aussehen!

Der Rheinländer sagt dazu: "Jeder Jeck is´ anders!", "Wat dem eenen sin Ul, is dem annern sin Nachtigall", sage ich als Bremer. Nordamerikanische Indianer treffen wichtige Entscheidungen mithilfe eines "Medizinrads", das die Diskutanten zwingt, gegensätzliche Standpunkte zu vertreten, um die Qualität der Entscheidungen zu verbessern.

Kluge Projektmanager sprechen von "Diversity Management". Denn auch Projekte leben von ihrer Unterschiedlichkeit, aus denen die Teammitglieder und andere Projektbeteiligte schöpfen. Fortschritt braucht Unterschiede in der Sache bei gleichzeitiger Akzeptanz der Personen. Das Bewusstsein darüber scheint zu steigen, das belegt z.B. das Interesse an dem Design-Thinking-Ansatz, bei dem heterogen zusammengestellte Teams einen zentralen Erfolgsfaktor darstellen (siehe die Artikelserie "Wie Projekte von Design Thinking profitieren", Projekt Magazin 18 und 19/2016).

Unsere Abos: für jeden Bedarf das passende Abonnement

 

Das projektmagazin - unverzichtbares Nachschlagewerk und Inspirationsquelle für alle,
die in Projekten arbeiten. Ihre Vorteile auf einen Blick

Image
Wissensplattform

Zugriff auf die größte deutschsprachige Wissensplattform
für Projektmanagement  (>1.800 Artikeln und Tipps)

Image
Praxisbezogene Beiträge

Praxisbezogene Beiträge
Fachautoren schreiben aus der Praxis für die Praxis.

Image
Tools

Werkzeuge (Tools)
z.B. Checklisten und Vorlagen, Methoden mit Schritt-für-Schritt-Anleitung.

Image
Glossar

Umfangreiches Projektmanagement-Glossar
über 1.000 Fachbegriffen (deutsch/englisch)

Image
Blogbeiträge

Blogbeiträge, Themenspecials, Bücher, Stellenangebote etc.
rund um das Thema Projektmanagement

Alle Kommentare (3)

Guest

Finde deinen Beitrag offen, ehrlich und sehr wertvoll. Die Botschaft darin bestätigt, wie wichtig gegenseitiges Verständnis ist, damit ein Miteinander immer wieder funktioniert. Danke.

 

Guest

Toll geschrieben und super Übertragbar für meinen Alltag! Danke.