Wenn der Chef agil für ein Wundermittel hält Wie sag ich’s meinem Chef?

Hält auch Ihr Chef agil für ein Wundermittel? Erfahren Sie, wie Sie Ihrem Chef diesen Zahn ziehen können.

Hält auch Ihr Chef agil für ein Wundermittel, das Projekte drastisch verkürzt und Planen überflüssig macht? Klaus D. Tumuscheit gibt Empfehlungen, wie Sie Ihrem Chef diesen Zahn ziehen können.

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Auf den vorangegangenen Blog-Beitrag gab es Feedback. Wir erinnern uns: Es ging um Chefs, die "agil" missverstehen. Mehrere Betroffene gaben mir Rückmeldung; mit grob zwei Tendenzen. Die erste: "Unser Chef auch! Er fordert Agilität ein und weiß nicht, was das ist." Die zweite: "Aber wenn ich nun mal mit so einem Vorgesetzten zusammenarbeiten muss – wie überzeuge ich ihn davon, dass er falsch liegt?" Gute Frage. Einfache Antwort: überhaupt nicht.

Lass es!

Wenn Führungskräfte behaupten, Agilität bedeute, dass man mit noch weniger Leuten und noch weniger Budget in noch kürzerer Zeit noch überzogenere Projektziele erreichen kann – was machen die meisten Projektleiter und -teams? Sie widersprechen. Sie halten dagegen. Sie versuchen, vernünftig mit ihrem unvernünftigen Chef zu reden: "Chef, das stimmt so nicht!" Tun Sie das nicht!

So können Sie das keinem Chef sagen. Sie geraten mit dieser ehrlichen, sachlich korrekten, aber geradezu selbstmörderischen Ausdrucksweise in einen Clinch, den Sie nicht gewinnen können. Denn im Clinch ist der Vorgesetze immer der Mächtigere. Natürlich gibt es zur Einsicht fähige Führungskräfte, die sagen: "Oh, agil funktioniert ganz anders?" Schön, wenn Sie so einen Vorgesetzten haben. Gratulation – und zurück zu den anderen Chefs. Wie sagen Sie es denen?

Sieh selbst klar!

Je weniger der Chef weiß, was agil bedeutet, desto besser sollten Sie es wissen. Denn je klarer Sie es wissen, desto selbstbewusster und souveräner werden Sie ihm gegenüber – und das ist mehr wert als jedes Argument (das er oder sie nicht hören will).

Viele Führungskräfte haben z.B. gehört, dass man bei "agil" auch Sprints macht. Sie wissen nicht, was ein Sprint ist. Sie kennen den Begriff vom Sport und assoziieren frei: "Sprint heißt superschnell! In sechs Monaten erreichen wir damit, was sonst drei Jahre dauert!" Ein Chef sagte mir tatsächlich mal: "Wir sparen uns damit die ganze Projekt-Dokumentation und die Planung der Projektziele und sind in einem halben Jahr fertig!" Kein Witz.

Sie können dem Chef nicht erklären, dass er da etwas missverstanden hat (ich tat es auch nicht). Es steigert Ihre Souveränität jedoch immens, wenn wenigstens Sie wissen, dass agil so nicht funktioniert, dass Sie das keinesfalls so machen müssen, weil man das keinesfalls so machen kann. Was sollten Sie sonst noch wissen?

Wie agil wirklich funktioniert

Viele Chefs sind auch deshalb von agil begeistert, weil: "Agil hält immer die Termine ein! Immer!" Das stimmt – jedoch nur dann, wenn fürs agile Projekt auch die nötigen Leute freigestellt werden. Das übersehen viele Entscheider. Und dass die Teams nach agilen Prinzipien arbeiten können müssen. Dass z.B. kein Hierarch reinreden darf – weil bei Agilität nur der Product Owner etwas zu sagen hat; beispielsweise sagt dieser: "Wir haben einen fixen Endtermin aufgedrängt bekommen, wir haben Stand heute bis dahin etwa 80% der Ziele erreicht – das reicht uns! Projekt erfolgreich abgeschlossen!"

Und kein Hierarch darf da reinreden! Tut er aber trotzdem? Dann ist das laut Agil-Handbuch die Rote Karte. Aber auch das können Sie dem Chef nicht sagen. Dann rastet er aus (nicht ganz zu Unrecht). Wie sagen Sie es besser?

Nicht sagen – fragen!

Natürlich: Ein- oder zweimal kann man den Chef schon auf den korrekten agilen Sachverhalt hinweisen. Nutzt das nichts, sollte man nichts mehr sagen, sondern vielmehr fragen: "Wer entscheidet, ob die 80% okay sind? Wir – oder die Leute, die das Endprodukt bestellt haben und nutzen werden?" Ganz gleich, welche Antwort der Chef gibt, Sie sind aus dem Schneider. So sagt man's dem Chef: Nicht Kontra geben, sondern die agilen Prinzipien kennen und deshalb die richtigen Fragen stellen.

Die Erfahrung zeigt: Stellt man die richtigen Fragen, kommen fast alle Führungskräfte auf die richtige Antwort – weil Fragen sehr viel stärker zum Nachdenken anregen als Kontra-Geben. Viele Chefs sagen: "Stimmt eigentlich. Der Meier von der Abteilung X braucht das – also soll er sagen, wann gut ist." So sagt man's dem Chef. Nicht mit oberlehrerhaften Belehrungen, sondern mit klugen Fragen. Wer fragt, der führt.

Agil trotz fixem Endtermin?

Das ist eigentlich ein Widerspruch: Agil nähert sich iterativ den Projektzielen und hört auf, wenn der Fachbereich mit dem Ergebnis zufrieden ist. Doch der Chef sagt: "Bis 31.10. brauchen wir 100%! Fix!" – "Chef! Mit agil ist das unmöglich!" So kann man das keinem Chef sagen.

Wieder zahlt es sich aus, wenn man sein Handwerkszeug kennt: Fixtermin trotz agil ist zwar seltsam hybrid, aber nicht unmöglich. Es ist vielmehr die klassische Projektoptimierung mit zwei Stellschrauben: "Chef, machen wir. Um den Termin zu halten und dem Kunden das zugesagte Ergebnis zu liefern brauchen wir (nach Grobplanung) vier Leute an je zwei Wochentagen oder entsprechend Budget für externe Unterstützung. Und wir sollten Meilensteine definieren, indem wir vom Endtermin aus rückwärts rechnen." Das ist nicht agil? Nein, aber das ist pragmatisch und führt Sie (und den Chef) aus dem agilen Dilemma. Und es ist ein zweites Tool zur Führung von unten: Vorschläge statt Widerspruch.

Auf dem Projekt-Friedhof

Egal, ob agil oder klassisch: Für Projekte werden Menschen gebraucht. Personalkapazität ist die Engpass-Stellschraube. Daher vielerorts der berüchtigte Projekt-Friedhof mit den Gräbern jener Projekte, die wegen Personalmangels nicht mehr vorankommen. "Agil ist nicht das Allheilmittel gegen Überlastung!", wie ein Blog-Leser treffend schrieb. Denn auch für agil braucht es Menschen.

Ich kann Dutzende agile Projekte aufsetzen – aber wenn ich dafür nicht die Leute habe, hilft auch agil nicht. Doch so können Sie das einem Entscheider keinesfalls sagen. Sondern fragen: "Ja, gerne, das neue Projekt machen wir auch noch – und könnten wir dafür Projekt 28 und 47 etwas hintanstellen, damit wir Kapazität freibekommen für dieses neue, ganz wichtige Projekt?" Eine sehr manipulative Frage? Ist es noch manipulativ, wenn es allen hilft?

Das Projektleiter-Ethos

Wenn wir nicht länger Kontra geben, sondern fehlinformierte Chefs mit Fragen und Vorschlägen führen – ändern sie sich dann? Manche: ja. Doch bitte warten Sie nicht darauf! Wer wartet, gibt sein Leben aus der Hand. Wir können nicht warten, dass Chefs oder Organisationen sich ändern.

Aber wir können jederzeit unsere Projekte nach allen Regeln der Kunst planen, führen, nachverfolgen, dem Lenkungsausschuss transparent machen und Entscheider mit guten Entscheidungsvorlagen zur Entscheidung drängen.

Wenn wir das tun, wenn wir unseren eigenen Laden sauber halten, können wir jederzeit erhobenen Hauptes und voll Selbstbewusstsein und Souveränität jedem pseudo-agilen Chef ins Auge blicken. Das ist der beste Schutz gegen agil irrende Hierarchen. Oder wie Cicero sagte: Frei zu sein von Schuld ist der größte Trost.

Ein Teilnehmer eines meiner Projektmanagement-Workshops brachte es auf den Punkt: "Ich halte meinen Laden sauber, ich mache alles richtig – und wenn das von der Hierarchie nicht honoriert wird, gehe ich halt woanders hin, wo gute Projektleiter geschätzt werden." Als er das sagte, war es kurz still im Saal – dann brandete Applaus auf. Ich wünsche Ihnen so ein starkes Ethos!

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Viele Top-Manager halten sich vornehm zurück, was die Unterstützung ihrer eigenen Projekte anbelangt: Sie versäumen Meilenstein-Meetings, sitzen dringende Entscheidungen aus oder streichen Budgets zusammen.

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Alle Kommentare (4)

Melanie
Schreiber

Sie sprechen mir mal wieder aus der Seele :-) Agil ist so ein Modewort von dem sich oftmals das Management verspricht es heile alle Wunden und mache Transformationen ohne jede Änderung in Strukturen oder Ausbildung der Mitarbeiter möglich. Es ist wirklich schwer dagegen zu argumentieren, denn dafür müssten die Gegenüber wissen was agil wirklich heißt und wie es funktioniert.

In einem Projekt begegnete mir diese Problematik ebenfalls. Der selbsternannte Productowner wollte nicht mit mir diskutieren und schon gar nicht meine Expertise annehmen. Der Sponsor war noch neu im Geschäft und wollte keine Entscheidungen treffen, ob nun agil oder klassisch geliefert wird. Da es mit der Grobplanung schon nicht klappte, wollte der Productowner also einfach gleich in die Planungsphase gehen. Das war sein agiler Ansatz. Meine Frage war, wie hoch er seine Chance einschätzt, dem Management unfallfrei zu sagen, dass er keine Grobplanung machen kann und einen Freifahrtschein für weitere Geld-Lagerfeuer braucht.

Meine Lösung war etwas provokativ aber hat funktioniert. Ich habe ihn erst einmal machen lassen, brav Kosten getrackt und mich wie ein braver Delivery Manager verhalten. Mit voranschreitender Zeit kam reichlich rote Farbe ins Spiel. Natürlich hatte ich vorkalkuliert wieviel Zeit und Budget ich noch brauche um die Ziele zu erreichen. Als der Owner schließlich schwarz auf weiß sah, wohin in sein Ansatz bringt war er schließlich bereit mich nun meinen Job machen zu lassen und siehe da, die Grobplanung stand schnell und die Mitarbeiter und das Management glaubten auch daran.

Ich mache es ähnlich wie Sie Herr Tumuscheit, ich stelle so lange Fragen, bis ich belastbare Aussagen bekomme. Bzw. nehme den Auftrag auf und zeige klar auf, was es dafür braucht. Sobald diese Zugeständnisse nicht mehr eingehalten werden, lassen sich die Konsequenzen wunderbar in Kosten ausdrücken. Auch wenn mich das in der Regel nicht gerade zur beliebtesten Mitarbeiterin macht. Aber das Dilemma war mir mit der Berufswahl ja klar. Und das Feedback von meinen Teams ist dafür immer positiv, denn sie wissen, was bis wann erwartet wird und wie wir dahin kommen.

Den pragmatischen Ansatz, „einfach“ wohin zu gehen, wo man geschätzt wird halte ich aber noch für schwierig. Dafür wird professionelles Projektmanagement in der breiten Masse immer noch nicht genug verstanden und akzeptiert. So ist zumindest meine Erfahrung. Es ist das gleiche Problem, wie mit dem Zauberwort agil. Man muss PM verstehen und konsequent durchziehen, damit es von Nutzen ist.

Guest

Herzlichen Dank Herr Tumuscheit,
Ihr Artikel spricht mir aus der Seele. Vermutlich haben schon viele diese schmerzhaften Erfahrungen gemacht, nicht nur Projektleiter. Und ja, spätestens wenn die Argumente der Auftraggeber/Chefs karikiert und unsachlich werden, ist ein Umschwenken ins Coaching dringend erforderlich, wenn nicht gar schon zu spät. Mir fällt es dann tatsächlich schwer, den gebührenden Respekt zu wahren und nicht arrogant zu werden.
Aber wird dies nicht durch die Grundhaltung "ich weiß es aber besser" und "ich mache alles richtig" unterstützt? Reicht das Differenzieren und das Bewusstsein, das "richtige" Verständnis zu haben?
In diesem Mit- oder besser "Gegeneinander" ist es wohl auch noch legitim, dass eigene Fehler auf dem Silbertablett, auf möglichst großer Bühne serviert werden - um Recht zu behalten.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich bin bei Ihnen, dass im ersten Schritt die Abgrenzung erforderlich ist, um die fachliche Souveränität zu wahren und den unsachlichen Disput zu vermeiden - es geht ja schließlich um den Erfolg eines Projektes, den Alle gleichermaßen wollen (meistens zumindest). Und auch ich arbeite viel lieber in einem wertschätzenden, respektvollen Umfeld, als unter erschwerten Bedingungen. Nur ist dies leider nicht der Standard, sondern hat Seltenheitswert.

Ich frage mich, wie eine passiv aggressive Fortführung des Disputs in eine konstruktive Kommunikation gewandelt werden kann? Wie kann die gemeinsame Arbeit an einem Projektziel wieder aufgenommen werden? Sind die Aspekte "wer macht was richtig/falsch oder besser" zielführend?

Warum erlebt die vielversprechende Methodik "Agil" denn so einen Hype? Weil die Projekterfolge so oft gefährdet sind? Weil der (soziale) Umgang unter jedweder Methodik zu wünschen übrig lässt? Weil Hierarchen und Autokraten überrepräsentiert und die veralteten Organisationsstrukturen (Stichwort Taylorismus) überholt sind? Oder vielleicht auch, weil oftmals eine adäquate Führung und/oder Organisationskultur fehlen?

Auch frage ich mich, wie man klassische und agile Elemente so kombinieren kann, dass eine hybride Methode eine wertschöpfende Weiterentwicklung des Projektmanagements ist und das Gesamtkonstrukt positiv beeinflusst.
Welche Aspekte beeinflussen das Gesamtkonstrukt noch?
Ich stimme mit Ihnen vollkommen überein, dass das Ethos an Bedeutung gewinnt und ein maßgebliches Element nachhaltiger Erfolge ist.

Johannes
Lang

Ein wirklich interessanter Beitrag und ein heikles Thema... Wie sag ich es dem Kinde, wie sage ich es meinem Chef, dass er sich ändern muss?
Meine Erfahrung zeigt, dass echte Agilität immer erst im Management anfangen wird oder gar nicht. Wer seine Führungsaufgabe nur darin versteht, das Sagen zu haben, "Figuren" unter sich zu haben, sich im Micro-Management aufzuhalten, statt sich um strategische Belange und das Wachstum der Mitarbeiter zu kümmern, wird mit Agile immer auf Kriegsfuß leben. Chefs neigen gerne dazu, lediglich Methoden auszutauschen, statt sich darauf einzulassen. Agile löst keine Probleme, Agile deckt sie meistens erst auf! Verantwortung an die Mitarbeiter abgeben ist viel schwerer als man denkt. Das Gefühl von Machtverlust und Ohnmacht auszuhalten ist die größte Herausforderung, wenn sich die Führungskraft der neuen persönlichen Herausforderung bewusst wird und sich selbst weiterentwickeln will. Agile basiert auf Selbstverantwortung, Vertrauen und Transparenz. Wer sich auf dieses Mindset nicht einlassen kann, sollte auf Agile besser (noch) verzichten.