Selektiv, hybrid, bimodal? Agil-klassische Mischformen – neue Chancen und Herausforderungen für PMOs und Unternehmen

Teil 1:
Welche Mischformen sind für die Praxis relevant?
Agil-klassische-Mischformen

Agil, klassisch, hybrid oder selektiv: Viele Unternehmen haben die Bedeutung agiler Methoden mittlerweile erkannt. Eine weitergehende Systematik, wie agile und traditionelle Methoden am besten zusammenspielen, fehlt jedoch meist. Dies stellt Organisationen und PMOs vor neue Herausforderungen, die sie mit unterschiedlichem Erfolg meistern. Prof. Dr. Ayelt Komus zeigt im ersten Teil des zweiteiligen Beitrags, welche Lösungsansätze Unternehmen in der Praxis gefunden haben und wie diese zu bewerten sind.

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Artikelserie

  1. Welche Mischformen sind für die Praxis relevant?
  2. Was bedeutet das für PMOs?

Selektiv, hybrid, bimodal? Agil-klassische Mischformen – neue Chancen und Herausforderungen für PMOs und Unternehmen

Teil 1:
Welche Mischformen sind für die Praxis relevant?
Agil-klassische-Mischformen

Agil, klassisch, hybrid oder selektiv: Viele Unternehmen haben die Bedeutung agiler Methoden mittlerweile erkannt. Eine weitergehende Systematik, wie agile und traditionelle Methoden am besten zusammenspielen, fehlt jedoch meist. Dies stellt Organisationen und PMOs vor neue Herausforderungen, die sie mit unterschiedlichem Erfolg meistern. Prof. Dr. Ayelt Komus zeigt im ersten Teil des zweiteiligen Beitrags, welche Lösungsansätze Unternehmen in der Praxis gefunden haben und wie diese zu bewerten sind.

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"Die Glaubenskriege sind langsam vorbei. Wir können also anfangen zu arbeiten." Diese Aussage aus einem der deutschen Telekommunikationsunternehmen beschreibt treffend den aktuellen Entwicklungsstand zum Einsatz agiler Methoden. Waren die Diskussionen in den letzten Jahren vielfach noch durch Emotionalität und Lagerbildung geprägt, wandelt sich die Diskussion mittlerweile in eine pragmatische Richtung. Es geht nicht mehr darum, ob agile Methoden verwendet und in klassische Planungs- und Managementsysteme eingebunden werden können, sondern vielmehr darum, wie das möglich ist.

Viele Unternehmen haben die Relevanz des Themas erkannt und mittlerweile eine agile Variante des vorgegebenen Projektmethodensets entwickelt. Eine weitergehende Systematik, wann welche agile Methode anzuwenden ist oder wie ein Tailoring – also eine zielgerichtete Anpassung von Methoden – stattfinden sollte, fehlt allerdings in den allermeisten Fällen, wie die Studie "agiles PMO" zeigte (Komus, A.; Agiles PMO, 2016). Wie also sollen sich Unternehmen aufstellen, um das Projektmanagement und Produktentwicklungsprozesse unter Berücksichtigung klassischer und agiler Methoden auszugestalten? Welche Grundmuster bieten sich an? Mit welchen Vor- und Nachteilen sind diese verbunden?

Diese oftmals grundlegend neuen Gestaltungsmöglichkeiten bringen neue Herausforderungen mit sich, die über die einfache Einführung eines weiteren Methodenhandbuchs – nun in einer agilen Varianten – hinausgehen. Es bedarf grundlegend anderer Mittel, um den Einsatz von Mischformen agiler und klassischer PM-Methoden zu unterstützen. Das gilt auch für das entsprechende Portfoliomanagement und –controlling und hat somit auch Konsequenzen für Project Management Offices PMOs und deren notwendigen Aktivitäten.

Dieser erste Teil des Beitrags geht zunächst auf die unterschiedlichen Ausgestaltungsmöglichkeiten agil-klassischer Mischformen ein und behandelt die Fragen:

  • Wie werden agile und klassische Methoden in der Praxis selektiv bzw. gemischt eingesetzt?
  • Welche Mischformen sind in der Praxis relevant?
  • Was bedeutet eine bimodale Struktur des Projektmanagements?

Der zweite und abschließende Teil zeigt, welche Anforderungen die neuen Mischformen an PMOs stellen. Darüber hinaus geht er der Frage nach, inwieweit typische PMOs für einen entsprechenden Wandel aufgestellt sind und wie sie agieren sollten, um sich und ihre internen Kunden in den neuen Konstellationen optimal zu unterstützen.

Erfolgreich, aber selten in Reinform

Wie erfolgreich agile Methoden in der Praxis sind, aber auch wie agile Methoden in der Praxis gelebt werden, zeigt die Studie "Status Quo Agile" (Komus, A. et al.; Status Quo Agile, 2016). Diese ermittelte Ende 2016 zum dritten Mal die Verwendung und den Erfolg agiler Methoden in der Unternehmenspraxis. Dazu wurden über 1.000 Teilnehmer aus 30 Ländern befragt. Die Studienergebnisse zeigen unter anderem zweierlei:

Erfolgsquoten agiler und klassischer Methoden

Bild 1: Erfolgsquoten agiler und klassischer Methoden (Quelle: "Status Quo Agile" 2016/2017).
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  1. Die Befragten schätzen agile Methoden als weit erfolgreicher ein als klassisches Projektmanagement (Bild 1). Dieses Ergebnis deckt sich mit dem der beiden vorangegangenen Untersuchungen. Agile Vorgehensweisen sollten also im Methodenportfolio moderner Organisationen nicht fehlen.
  2. Nur ein Teil der Befragten, die agil arbeiten, setzen agile Methoden in Reinform ein (20%). Deutlich häufiger verwenden sie diese selektiv für ausgewählte Projekte (31%) oder hybrid in Form einer Kombination aus klassischen und agilen Methoden (37%). Bild 2 zeigt die Verteilung anhand der Studienergebnisse.
Formen der Nutzung klassischer / agiler Methoden

Bild 2: Formen der Nutzung klassischer / agiler Methoden (Quelle: "Status Quo Agile" 2016/2017).
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Folgt man verschiedenen Publikationen aus dem agilen Umfeld, entsteht der Eindruck, dass hybride oder selektive Formen der Nutzung kaum möglich oder zumindest nicht empfehlenswert seien. In der Praxis ergibt sich jedoch ein anderes Bild: Hybride oder selektive Anwendungsformen sind nicht nur durchaus vertreten, sondern stellen sogar eine deutliche Mehrheit dar. Mehr als zwei Drittel der Studienteilnehmer wenden agile Methoden hybrid oder selektiv an – dreimal so viel wie "rein agil" arbeiten.

Selektive oder hybride Ansätze können in der Praxis unterschiedliche Formen annehmen. Nachfolgend wird dargestellt, welche typischen Ausrichtungen es in der Praxis gibt und welche Vor- und Nachteile mit einer "bimodalen" Organisation als weitere besondere Spielart der organisatorischen Ausgestaltung verbunden sind.

Selektive Verwendung – Wahl zwischen klassisch und agil

Fortsetzungen des Fachartikels

Teil 2:
Was bedeutet das für PMOs?

Das Thema "Agile Transformation" ist hochrelevant und liegt in der Zuständigkeit des Project Management Office – darüber sind sich PMO-Vertreter weitgehend einig.

Alle Kommentare (6)

Christian
Holst

Kurz und knapp das Wesentliche beschrieben.

 

Roland
Danneberg

Der Artikel trifft das Thema auf den Punkt und ist dabei nicht theoretisch "abgehoben", sondern sehr nah an der Praxis.

 

Mike
Albien

Klasse Artikel. Trifft genau ins Schwarze. Wenn ich auf die Anwendung agiler Methoden in Projekten angesprochen werde, frage ich immer zurück: Welche denn von den 40 verschiedenen Methoden sollen es sein? Meine Erfahrung aus über 20 Jahren in unterschiedlichsten "Vorhaben" meiner Mandanten zeigen, dass nur eine bewusste Auseinandersetzung mit dem Mix aus "klassischen" (was ist das überhaupt?) und "agilen" Methoden, weiterhilft. Also, einfache Antworten wie : "Ich kann nur agil.", sind genauso wenig förderlich und zielführend, wie sich nur darauf zu beschränken zu meinen alles könne "nur" geplant ablaufen. Das zeugt nur von Unflexibelität. Am Ende des Tages hilft es einem Vorhaben nur dann erfolgreich umgesetzt zu werden, wenn alle "selbstverantwortlich" und "Initiativ" sich einbringen. Und eines der wichtigsten und unerlässlichen Methoden ist dabei immer noch die Kommunikation. Einfache Antworten auf immer komplexer werdende Vorhaben sind auch an dieser Stelle nicht hilfreich für alle Beteiligten. Ich freue mich schon auf den Teil 2. Allen wünsche ich einen angenehmen Wirkungsgrad. ;-)

 

Dieter
Bertsch

Ich sehe nach wie vor ein „Definitionsdefizit“ bezüglich des Begriffs „Hybrid“.
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„Klassisches Vorgehen“, geprägt durch plangetriebenes Arbeiten nach dem Push-Prinzip, und "agiles Vorgehen", welches Wertebasiert ist und dem Pull-Prinzip folgt, ist m.E. nicht wirklich integrierbar. Die zwei Paradigmen lassen sich nicht miteinander vereinen!
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So ist der im Artikel genannte "Water-Scrum-Fall" keine Verbindung von klassischem und agilem Vorgehen, sondern eine Verkettung mehrere Paradigmen. Jedes Paradigma bleibt in seinem Abschnitt sauber. (Chemisch vergleichbar mit dem Unterschied einer Verbindung und einem Gemenge.) Im Sinne des Artikels also eher "Selektive Verwendung – Wahl zwischen klassisch und agil".
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Bei dem "Cherry Picking"-Ansatz stellt sich die Frage, welches der Paradigmen ist das zugrundeliegende?
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Nur die Verwendung einiger klassischer Tools bewirken bei einen agilen Pull-Ansatz mit Selbstorganisation noch nicht einen Paradigmenwechsel. Und umgekehrt: Aus einem klassischen Planansatz wird z.B. durch ein Daily Standups noch kein wertegetriebenes Vorgehen.
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Es handelt sich nach meiner Erfahrung beim Wechsel von Klassisch auf Agil um keinen "gleitenden Übergang", sondern eher um eine disruptive Veränderung. Und wenn es so nur "schwarz" und "weiß" gibt, bestenfalls noch "gestreift" (Wasser-Scrum-Fall) oder „gepunktet“, aber kein "grau" (Verbindung), gibt es m.E. auch keinen "hybriden Ansatz".
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Comments welcome!

 

Ayelt
Komus
Prof. Dr.

Hallo Herr Bertsch,
vielen Dank für Ihr Interesse am Beitrag und vor allem für Ihre Anmerkungen.

Natürlich haben Sie Recht: Beim Water-Scrum-Fall ist zunächst einmal das Vorgehen wie Sie schreiben "in seinem Abschnitt `sauber`". Aus der übergeordneten Perspektive werden die Methoden zur Bearbeitung einer zusammenhängenden Aufgabenstellung aber nach meiner Sichtweise sehr wohl vermischt; also gewissermaßen eine Frage der 'Flughöhe'. Übrigens sind die Praxisfälle, die mir bekannt sind, alle in noch einem weiteren Aspekt hybrid. Auch die "Scrum"-Phase beinhaltet meist agile und klassische Elemente in einem Mix.

Was die anderen Punkte angeht, vertrete ich persönlich in Teilen ein andere Sichtweise. Ja, die von mir vorgenommene Reduktion von agil und klassisch nur auf Methoden ist zu kurz gesprungen - dafür aber im Kontext des Beitrags besser greif- und behandelbar. Und damit ist auch die vorgenommene Abgrenzung von hybrid zu eindimensional.
Selbstverständlich spielen unterschiedliche Wertesysteme beim Agilen und Plangetriebenen eine sehr wichtige Rolle; vielleicht sogar die entscheidende Rolle. Aber natürlich hat auch die klassische, plangetriebene Vorgehensweise Werte, nur andere. So ziehen sich bspw. Werte wie "following a plan", die Verwendung von "processes and tools" durch das klassische Vorgehen. Und genau diese Werte werden im agilen Manifest als wertvoll beschrieben. ("there is value in the items on the right").

Soweit die formale Perspektive.
Bezogen auf die von mir erlebte Praxis tue ich mich schwer, überhaupt etwas anderes als "grau" zu sehen, sobald die Vorhaben oder die Unternehmen eine gewisse Größe erreichen.
Planungsprozesse und Planungseckpunkte, notwendige Commitments gegenüber Kunden auf der einen Seite und auf der anderen Seite notwendige Kompromisse (übrigens argumentiert auch Anderson in seinem Kanban-Ansatz, dass Transformation nur inkrementell funktioniert), Bereitschaft zur Veränderung im Management und bei Teammitgliedern u.v.a. Aspekte dürften wichtige Faktoren dafür sein, dass die agile Welt, die ich kennengelernt habe, meist "grau" im Sinne von hybrid ist. Und nicht zuletzt, weil agile Methoden bei "nur" komplizierten Aufgabenstellungen (im Sinne von Stacey/Cynefin) nicht ohne Einschränkungen die Methoden der Wahl sind, bin ich persönlich der Meinung, dass viele Unternehmen zwar die Potenziale von mehr Agilität nutzen sollten, aber ein wirklich durchgängig rein-agiler Ansatz die Ausnahme beiben wird - und das finde ich auch okay so.