Frag (nicht) warum!

Einmal war ich bei einer Firma, deren Chef gern Kanban einführen wollte. Ich war also in regelmäßigen Abständen vor Ort, gab Schulungen, moderierte Workshops und führte Einzelgespräche mit verschiedenen Kollegen. Ein Mitarbeiter aus dem Marketing bat mich um ein Gespräch und schilderte mir, dass er mit dem Daily-Standup-Meeting (kurz: Daily) in seinem Team unzufrieden war.

Frag (nicht) warum!

Einmal war ich bei einer Firma, deren Chef gern Kanban einführen wollte. Ich war also in regelmäßigen Abständen vor Ort, gab Schulungen, moderierte Workshops und führte Einzelgespräche mit verschiedenen Kollegen. Ein Mitarbeiter aus dem Marketing bat mich um ein Gespräch und schilderte mir, dass er mit dem Daily-Standup-Meeting (kurz: Daily) in seinem Team unzufrieden war.

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Er nannte einige konkrete Beispiele und bat mich dann um einen Rat, was er tun solle. Als ich ihn fragte, warum sein Team ein Daily durchführte, fiel ich bei seiner Antwort fast vom Stuhl: "Wir dürfen hier nicht Warum fragen!"

Warum-Fragen sind oft problematisch

Ich musste mich kurz sammeln, denn das ergab wenig Sinn für mich. Ich wusste, dass der Geschäftsführer ein sehr offener Chef war, der seine Mitarbeiter ernst nahm und ihnen kaum strikte Verbote auferlegte. Dann hatte ich eine Idee, was es mit diesem Verbot auf sich haben könnte – und wie sich später herausstellte, lag ich richtig.

Tatsächlich gelten Warum-Fragen in der Moderation und im Coaching (der Welt des Chefs) als problematisch, denn sie werden vom Gesprächspartner oft als Vorwürfe verstanden – insbesondere in Situationen, die von Stress oder Konflikt geprägt sind. "Warum hast du denn nicht besser aufgepasst, als du dir den Tee über den Arm geschüttet hast?", "Warum ist der Bericht noch nicht fertig?" usw. Schwierig an Warum-Fragen sind in solchen Situationen insbesondere zwei Dinge:

  • Sie sind häufig in die Vergangenheit gerichtet. Das ist aber nicht hilfreich, wenn es vorrangig darum gehen sollte, mit der aktuellen Situation umzugehen. Besser wären dann vielleicht folgende Reaktionen: "Bist du in Ordnung?", "Hast du dich verbrüht?", "Komm, wir gießen da schnell kaltes Wasser drüber." Bzw.: "Wie kann ich dir helfen, den Bericht so schnell wie möglich fertigzustellen?" oder "Was brauchst du von mir oder von anderen?"
  • Warum-Fragen suggerieren, dass es eine klare Ursache-Wirkung-Beziehung gibt, der man einfach nur auf den Grund gehen muss. Das ist aber in zwischenmenschlichen Situationen oft nicht der Fall. Dort gibt es nicht nur Schwarz und Weiß, sondern auch viele Grautöne. Dazu kommt, dass wir die Ursachen für unser Verhalten oft selbst gar nicht kennen oder benennen können, insbesondere dann, wenn wir unter Stress stehen. Dann reagieren wir häufig mit Abwehr.

Als Faustregel kann man sich also merken, dass man in kritischen Situationen auf Warum-Fragen besser verzichtet (und es hilft auch nichts, "warum" einfach durch "wieso" oder "weshalb" zu ersetzen).

Warum Warum-Fragen fragen?

Gleichzeitig sind Warum-Fragen allerdings extrem hilfreich. Nämlich dann, wenn es darum geht, den Zweck von etwas zu klären und ein gemeinsames Verständnis davon zu entwickeln. Und genau das war meine Intention bei der Frage nach dem Daily. Ich wollte nicht dem Verhalten bestimmter Personen auf den Grund gehen, sondern den Zweck des Daily-Formats in diesem Team herausfinden, bzw. eine Diskussion darüber beginnen.

Wenn man nämlich den Zweck von etwas nicht kennt, ist es so gut wie unmöglich, dieses Etwas zu verbessern. Und tatsächlich kann das Daily ja ganz verschiedene Zwecke erfüllen, die alle wertvoll sein können. Geht es in erster Linie darum, die Aufgaben für den Tag zu planen? Oder besteht der Hauptzweck darin, Hindernisse zu identifizieren und aus dem Weg zu räumen? Oder müssen wir uns mit anderen Teams synchronisieren?

Abhängig vom Hauptzweck wird das Daily vermutlich sehr unterschiedlich aussehen. Die Fragen, die beim Daily beantwortet werden, sind andere. Der Teilnehmerkreis wird variieren. Das Daily dauert unterschiedlich lange usw. Natürlich kann man mit dem Daily auch mehrere Zwecke gleichzeitig verfolgen.

Es bleibt aber in jedem Fall sinnvoll, im Team (und mit den Stakeholdern) ein gemeinsames Bild davon zu erzeugen, welches diese Zwecke sind, und wie wichtig sie uns jeweils sind. Wenn wir diese Klarheit über den Zweck nicht haben, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als blind Regeln zu befolgen. So kommen dann Dialoge wie der folgende zustande:

"Das Daily dauert zu lange, wir müssen die Redezeit jedes Einzelnen reduzieren."
"Warum darf das Daily nicht 20 Minuten dauern?"
"Weil das so im Buch steht."

Aufgaben verstehen mit "Warum"

Und noch in einem anderen Bereich ist das Warum wichtig: bei der Delegation von Aufgaben. Hierzu liefert der verstorbene Professor, Berater und Buchautor Russell Ackoff ein anschauliches Beispiel. Stellen wir uns vor, dass mein Chef mir den Auftrag erteilt, einen Tisch zu reinigen. Wenn ich nicht weiß, wozu der Tisch verwendet werden soll, dann kann ich die Aufgabe kaum vernünftig ausführen. Dann werde ich nämlich entweder unverhältnismäßig viel Zeit aufwenden oder den Tisch nicht gründlich genug reinigen.

Wird der Tisch für eine Besprechung verwendet? Dann reicht es vermutlich, einmal mit einem Handfeger drüber zu gehen. Soll von dem Tisch gegessen werden? Dann muss ich schon etwas mehr Sorgfalt aufwenden und mit Lappen, Wasser und Seife zur Sache gehen. Oder soll auf dem Tisch womöglich eine Operation durchgeführt werden? Dann müsste es ja darum gehen, ihn steril zu bekommen, was wiederum eine ganz andere Sorgfalt (und andere Hilfsmittel) erfordert.

Nun kann man natürlich argumentieren, dass der "normale" Zweck eines Tisches darin besteht, dass von ihm gegessen wird. Wenn mir nichts Anderes gesagt wird, kann ich ihn also unter dieser Annahme reinigen. Aber gilt das auch für die Aufgaben, die wir täglich im Büro übertragen bekommen? Weiß wirklich immer jeder Beteiligte, was der Zweck von einem bestimmten Bericht, einer Kalkulation oder einem Plan ist?

Hintergrundwissen bei großen Aufgaben

Insbesondere, wenn es darum geht, große, komplexe und neuartige Aufgaben zu delegieren ist es deshalb wichtig, nicht nur zu benennen, was getan werden soll, sondern auch, warum dies wichtig ist. Und wenn unsere Chefs das nicht von sich aus tun, dann sollten wir öfter nachfragen. Dies ist auch in ihrem Sinne, und zwar aus zwei Gründen:

  1. Ohne das Warum werden ihre Erwartungen häufig nicht erfüllt werden. Wie denn auch?
  2. Ohne das Warum können wir nicht wirklich die Verantwortung für eine Aufgabe (oder noch besser: für ein bestimmtes Ergebnis) delegieren, sondern immer nur konkrete Tätigkeiten. Dies bedeutet aber, dass die Aufgabe ständig zu uns zurückkommt: "Soll ich einen Lappen oder eine Bürste benutzen, um den Tisch zu reinigen?" "Ich hab den Tisch jetzt abgewischt, soll ich ihn auch abtrocknen?" usw. Eine wirkliche Entlastung erreichen wir nur, wenn derjenige, der die Aufgabe ausführen soll, selbstständig Entscheidungen treffen kann, wie genau er die Aufgabe am besten erledigen kann. Genau dafür muss er aber das Warum kennen.

Warum-Fragen sind also ein zweischneidiges Schwert. Sie können angreifend wirken und somit schwierige Situationen weiter eskalieren. Gleichzeitig können Warum-Fragen sehr wertvoll sein, wenn es darum geht, Dinge zu verbessern und erfolgreich Aufgaben zu delegieren. Es kann also nicht darum gehen, Warum-Fragen kategorisch zu verbieten. Vielmehr sollten wir daran arbeiten, je nach Situation entscheiden zu können, was jetzt gerade angemessen und hilfreich ist.

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Alle Kommentare (9)

Guest

Guter Beitrag. Im Umfeld von Prozessoptimierung, KVP, Lean & Co. (also da, wo Kanban ursprünglich herkommt ;-) ist das 5x Warum ein sehr wertvolles Werkzeug, wenn es mit der richtigen Einstellung (positive Fehlerkultur) genutzt wird. Vor einiger Zeit habe ich mir in mehreren Artikeln Gedanken gemacht über unterschiedliche Aspekte des Warum, u.a. auch zur Abgrenzung zum Tabu des Coaching-Warums. http://www.geemco.de/artikel/das-warum-im-nlp-und-projektmanagement/ http://www.geemco.de/artikel/kvp-eine-frage-der-ausreden/ http://www.geemco.de/artikel/kvp-eine-frage-der-fragen/ http://www.geemco.de/artikel/kvp-eine-frage-des-warum/ Ein grundsätzliches Dilemma in jeder Richtung entsteht dann, wenn Werkzeuge unreflektiert übernommen werden (oder auch nicht), ohne tieferliegende, kulturelle oder kontextspezifische Aspekte zu beachten. Wie es im Abschlusssatz oben sehr richtig heißt, gibt es selten ein digitales Richtig oder Falsch, sondern viel häufiger ein Nützlich oder eben weniger Nützlich.

 

Markus
Rupprecht

Wenn man die "Warum" Frage genausogut mit "Wozu" beginnen könnte, dann sollte dies genutzt werden. Und wenn es nicht geht, wie bei "Warum ist der Bericht noch nicht fertig?", dann könnte tatsächlich ein Vorwurf dahinter stecken (aber auch nicht zwangsläufig, wie "Warum darf das Daily nicht 20 Minuten dauern?" zeigt). Hier ist es dann besser komplett umzuformulieren und anders zu fragen, z.B.: "Welche Schwierigkeiten gibt es mit dem Bericht?", oder "Was hält Dich davon ab, den Bericht fertig abzugeben?", oder noch besser: "Wie können wir Dich dabei unterstützen, den Bericht schnellst möglich fertig zu bringen?" (wobei dieses Angebot wirklich ernst gemeint sein sollte). Damit bekommt man genauso Einblick in die Gründe, ohne den Gegenüber anzugreifen.

 

Guest

Ich kann Götz Müller nur zustimmen. Im Coaching fällt mir auch oft auf, das ein unreflektierter Einsatz der 5 W Fragen nicht zielführend ist. Hier gehört schon mehr Fingerspitzengefühl dazu, die richtige Fragestellung zu nutzen. Ziel sollte es immer sein, die Wurzel der Probleme / Ursachen zu identifizieren um Sie nachhaltig abzustellen.

 

Guest

Ein sehr guter Artikel - werde gleich dazu über mein Blog Werbung machen - denn sollten mehr Leute lesen! Danke für's Schreiben :-)

 

Guest

Antwort auf von Gast (nicht überprüft)

Jetzt zusammenfassend veröffentlicht: *Wir dürfen nicht Warum fragen* auf http://thequaliteers.de

 

Profile picture for user georg_angermeier@ask-asc.de
Georg
Angermeier
Dr.

Warum ist nicht wozu! Lieber Herr Roock, ich stimme Ihren Argumenten ja aus vollem Herzen zu - wenn da nicht die kleine Sache mit der Sprache wäre! Mit "warum" frägt man tatsächlich nach den Gründen, die zu der aktuellen Situation geführt haben und somit in der Vergangenheit liegen. Nach dem Zweck einer Sache frägt man niemals mit "warum" sondern ausschließlich mit "wozu"! Nur wissen das viele, vermutlich die meisten Deutschen nicht und beantworten z.B. die Frage "Warum führen wir das Marketingprojekt durch?" mit "Damit wir unseren Umsatz steigern!" anstatt mit "Unsere Umsätze sind zu niedrig, deshalb müssen wir verstärkt werben!" Die Engländer sind uns in diesem Punkt voraus: Im Business Case von PRINCE2 wird ganz klar getrennt abgefragt, was die Gründe (d.h. das "Warum?") für das Projekt sind und welchen Nutzen (d.h. das "Wozu?") man sich vom Projekt erwartet. Und auch bei dern Produktbeschreibungen wird gefordert, den Zweck zu beschreiben, den dieses Produkt erfüllen soll. In Ihrem Beispiel: Grund dafür, den Tisch sauber zu machen, ist, dass er dreckig ist. Würde er bereits den Anforderungen für seine vorgesehene Verwendung erfüllen, bräuchte man ihn nicht putzen. Die Antwort auf das "Warum" ist somit trivial und hilft niemandem weiter. In diesem Sinne hat der von Ihnen zitierte Geschäftsführer Recht. Dennoch halte ich die Frage nach dem "Warum" für überaus wichtig. Sie kann uns nämlich Alternativen aufzeigen. Wenn die Umsätze zurückgehen, kann dies ja auch bedeuten, dass ein Konkurrenzprodukt billiger und besser ist. Da hilft kein Marketingprojekt, sondern nur eine neue Produktentwicklung. Meine Empfehlung: Sowohl "Warum" als auch "Wozu" fragen, aber richtig!

 

Guest

Der Ton macht die Musik. In meinen Augen ist es gänzlich unerheblich ob ich mit "warum" fragte oder einen gänzlich umformulierten Satz für meine Frage verwende. Es kommt meiner Einschätzung nach auf Tonfall, Mimik und Gestik an, die eine eine Warum-Frage zum Stimmungskiller werden lässt. In diversen Vertriebscoachings habe ich gelernt, dass man einen Kunden nie fragen soll "Wie kann ich Ihnen helfen?", weil man dadurch eine nichtgewollte, ablehnende Reaktion provoziert. Kein Kunde ist hilfsbedürftig, maximal ist er auuf der Suche nach etwas Bestimmten. Und wie fühlt sich der Mitarbeiter jetzt, der seinen Bericht nicht fertig gebracht hat, wenn man ihm Hilfe anbietet? In meiner Vorstellung genauso abgekanzelt, weil das Hilfsangebot impliziert, dass er/sie nicht in der Lage war es selbst in der vorgegebenen Zeit zu schaffen. Ich habe das Gefühl, dass man die Frage nach der Fragestellung nicht durch Fahrplähne besser machen kann. Es ist elementar wichtig, dass wieder mehr Bauchgefühl zugelassen wird, dann kommen die Fragen auch mehr von Herzen, sind authentischer und das führt letztlich zum Ziel.

 

Guest

Vielleicht hilft es dem einen oder anderen interessierten Leser dieses Artikels, sich mal mit dem Thema "gewaltfreie Kommunikation" (GFK bzw. NVC = Non-violent Communication) zu beschäftigen. Hierzu gibt es Artikel im Web, Bücher und Seminare. Wikipedia ist kein schlechter Start :-) Wer nie im Affekt eine Frage gestellt hat, die er/sie nachher als unpassend oder nicht hilfreich erkannt hat, wird diese Hilfestellung nicht benötigen. Ansonsten stimme ich Markus zu, dass "Wozu/wofür" die zukunftsgewandte Variante der "Warum"-Frage ist. "Wie kam es/woher" sind die rückwärtsgewandten Varianten. "warum"-Fragen können positiv oder negativ sich auswirken - und wenn ich in Stress-Situationen dem Gefragten die Wahl lasse, dann wundere ich mich nicht, dass er/sie die _nicht_ gewünschte Variante heraushört.

 

Guest

Die Abgrenzung von "Warum" und "Wozu" halte ich durchaus für sinnvoll und die bisherigen Kommentare erlauben kaum Gegenargumentation. Ich glaube aber, dass der Einsatz des "Warum" vom vorherrschenden Klima abhängig sein sollte. Wenn man das 4-Ohren-Modell von Schulz von Thun im Hinterkopf hat, finde ich insbesondere "Warum"-Fragen eine gute Vorlage für Fehlinterpretationen. Natürlich kommt dann auch noch die non-verbale Kommunikation, wie von Joachim aufgeführt, dazu. Es kann eine gute Übung sein, sich selbst bewusster zu machen, was man wirklich wissen will, wenn man versucht "Warum"-Fragen zu vermeiden. "Warum?" ist schnell gestellt, die Antwort aber auch sehr offen. Versucht man die Frage umzustellen, muss der Fragende sich zuvor überlegen, was wirklich sein Anliegen ist. Um den Zweck des Daily-Formates herauszufinden und diskutieren zu können, kann man dann ja auch genau danach fragen. Und wenn man tatsächlich verärgert ist, weil ein Bericht immer noch nicht fertig gestellt ist, braucht man überhaupt keine Frage zu stellen. Erst wenn man wissen will, wann der Bericht denn fertig sein wird, oder durch welche Umstände es zu der Verzögerung kam oder ob jemand bei einer Aufgabe Hilfe benötigt, ist eine Frage angebracht.