Wenn Intuition zur Falle wird Critical Thinking im Projektmanagement

Teil 1:
Kognitive Verzerrungen – was kümmert mich die Realität?
Critical Thinking im Projektmanagement

Unser Gehirn ist aufs Überleben, aber nicht auf korrekte Entscheidungen programmiert. Deshalb tappen wir leicht in Denkfallen, wie es z.B. das Gruppendenken oder die selektive Wahrnehmung sind. Die Kognitionspsychologie nennt diese Effekte "kognitive Verzerrungen". An ihnen scheitern Projekte trotz professionellen Umfelds an scheinbar offensichtlichen Umständen. Nathalie Laissue erklärt anhand von bekannten Projektbeispielen, warum dies so ist und stellt das Gegenmittel "Critical Thinking" vor.

Management Summary

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Artikelserie

  1. Kognitive Verzerrungen – was kümmert mich die Realität?
  2. Kognitive Verzerrungen erkennen und vermeiden

Wenn Intuition zur Falle wird Critical Thinking im Projektmanagement

Teil 1:
Kognitive Verzerrungen – was kümmert mich die Realität?
Critical Thinking im Projektmanagement

Unser Gehirn ist aufs Überleben, aber nicht auf korrekte Entscheidungen programmiert. Deshalb tappen wir leicht in Denkfallen, wie es z.B. das Gruppendenken oder die selektive Wahrnehmung sind. Die Kognitionspsychologie nennt diese Effekte "kognitive Verzerrungen". An ihnen scheitern Projekte trotz professionellen Umfelds an scheinbar offensichtlichen Umständen. Nathalie Laissue erklärt anhand von bekannten Projektbeispielen, warum dies so ist und stellt das Gegenmittel "Critical Thinking" vor.

Management Summary

Der ständigen Verbesserung von Planungs-, Durchführungs- und Steuerungsprozessen zum Trotz treten in Projekten immer noch viele Fehler auf. Zwar können diese häufig auf Mängel in der Management- und Entscheidungspraxis zurückgeführt werden, aber manchmal liegt der Fehler nicht im Entscheidungsprozess, sondern im Kopf des Entscheidungsträgers: Die Funktionsweise des menschlichen Gehirns kann sachgerechte Entscheidungen eindeutig sabotieren. Aktuelle, drastische Beispiele für die Folgen unsachgerechter Entscheidungen finden wir zur Genüge in den Medien, es ist jedoch wichtig, sich bewusst zu machen, dass die gleichen Denkmechanismen uns auch im kleinen Rahmen beeinflussen und somit jeden Projekterfolg beständig bedrohen.

Anhand von bekannten, gut dokumentierten, gescheiterten Projekten möchte ich im Folgenden aufzeigen, wie bestimmte Denkstrukturen Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen verursachen. Diese Denkfallen sind im Wirtschaftsleben allgegenwärtig, wirken sich aber in Projekten besonders stark aus, da diese definitionsgemäß Neuerungen oder Veränderungen bewirken, die sie besonders fehleranfällig machen: Neue Wege werden oft mit beschränkten Erfahrungen und intuitiven Entscheidungen eingeschlagen.

Erfahrungslernen kann zu Denkfallen führen

Die Forschung der letzten Jahre hat auf verschiedenen Gebieten wie Molekular- und Neurobiologie, Neurologie, Psychologie und Verhaltensökonomie aufgezeigt, dass unsere Gehirne schon bei unserer Geburt dahingehend "verdrahtet" sind, emotional und unmittelbar auf die Welt um uns herum zu reagieren (De Martino, 2005; Ledoux, 2008, Shermer, 2011; Kahnemann, 2011). Dieser überlebensnotwendige Reflex, der uns ein Leben lang begleitet, führt allerdings zu einigen Problemen, weil wir seinetwegen oft suboptimale Entscheidungen treffen.

Kognitionspsychologen untersuchen, wie Menschen denken, wahrnehmen, sich erinnern und lernen (Cherry, 2014), d.h. sie untersuchen mentale Prozesse. Dabei identifizierten sie eine ganze Reihe von Denkfallen, in die wir bei Entscheidungen tappen. Einige sind auf sensorische Fehleinschätzungen zurückzuführen, andere nehmen die Form von Vorurteilen an, wiederum andere erscheinen einfach als irrationale Anomalien in unserem Denken.

Ein Beispiel zum Selbsttest: Aufwandsschätzungen beeinflussen

Wenn Sie bei der nächsten Projektplanung Aufwandsschätzungen von den Teammitgliedern einholen, können Sie eine der häufigsten Denkfallen testen: die sog. "Ankerheuristik" (s.u.).

Nehmen wir an, Sie haben ein Arbeitspaket definiert, für das Sie aus Ihrer Erfahrung heraus einen Aufwand von ungefähr zehn Arbeitstagen abschätzen. Fragen Sie nun verschiedene Teammitglieder unabhängig nach deren Einschätzung, aber mit zwei verschiedenen Fragestellungen:

  1. Wie ist deine Schätzung, brauchen wir für dieses Arbeitspaket mehr als sechs Tage?
  2. Wie ist deine Schätzung, schaffen wir dieses Arbeitspaket in weniger als 20 Tagen?

Je nachdem, welchen "Anker" (sechs oder 20 Tage) Sie bei der Fragestellung setzen, wird die Aufwandsschätzung systematisch niedriger oder höher ausfallen.

Kognitive Verzerrungen durch Heuristik

Für eine Aufwandsschätzung können sich heuristische Verfahren wie Expertenschätzung oder Delphi-Methode eignen. Im Alltag wird für Schätzungen oft die "Pi-mal-Daumen"-Methode verwendet, eine weitverbreitete Heuristik. "Heuristik bezeichnet die Kunst, mit begrenztem Wissen oder unvollständigen Informationen und wenig Zeit zu guten Lösungen zu kommen und schließt ein analytisches Vorgehen ein, bei dem mit Hilfe von Mutmaßungen Schlussfolgerungen getroffen werden" (Wikipedia (a), 2014). Das Wort "Heuristik" stammt vom altgriechischen "heuristikein", was "(auf)finden, entdecken" bedeutet.

Heuristische Verfahren (Heuristiken) basieren somit auf Erfahrungslernen und nicht auf objektiven Gesetzmäßigkeiten. Das Versuch-und-Irrtum-Prinzip (mögliche Lösungsmöglichkeiten solange durchspielen, bis eine richtige getroffen wird) oder das Ausschlussverfahren (richtig ist, was übrig bleibt, wenn alle falschen Möglichkeiten ausgeschlossen sind) sind bekannte heuristische Verfahren. Bei Multiple-Choice-Prüfungen für PM-Zertifizierungen ist z.B. das Ausschlussverfahren eine wichtige Methode, um die richtige Antwort zu identifizieren.

Erfahrungen und Wahrnehmungen können täuschen

Allerdings können heuristisch gefolgerte Aussagen von der optimalen Lösung abweichen oder falsch sein. So können sie z.B. auf falschen Erfahrungen basieren oder durch verzerrte Wahrnehmung oder Scheinkorrelation in die Irre führen – die Kognitionspsychologie bezeichnet diese Selbsttäuschungen als "kognitive Verzerrungen" (engl.: cognitive biases) (Wikipedia (b), 2014). Kognitive Verzerrungen sind systematische (nicht zufällige) Tendenzen oder Neigungen beim Wahrnehmen, Erinnern, Denken und Urteilen. Sie bleiben meist unbewusst und sind tückisch, weil sie oft aus lang gehegten, für selbstverständlich gehaltenen Ansichten hervorgehen.

Fortsetzungen des Fachartikels

Teil 2:
Kognitive Verzerrungen erkennen und vermeiden
Denkfallen gefährden auch im Kleinen beständig den Projekterfolg. So beeinflusst bereits das Umfeld, in dem eine Entscheidung stattfindet, die gewählte Option.

Alle Kommentare (7)

Markus
Aeschimann

Liebe Frau Laissue Danke für diesen Artikel. Mit Denkfehlern im Risk Management habe ich mich bereits intensiv beschäftigt. Nun bin froh, dass jemand auf solche Denkfehler im Kontext von Projektmanagement Aufmerksam macht, und erst noch auf eine solch gute Art und Weise. Ich freue mich schon auf den zweiten Teil! Gruss, Markus Aeschimann

 

Hans-Heinz
Maier

Hallo, so denkt der Mensch bestimmt nicht, das ist komplexer. Die aufgeführten Projektprobleme sind auch ganz anderer Natur: Denver, Gepäckabfertigung, man hat schlicht zuwenig getestet, das kommt vor; A380: Ein einfaches Problem des Configuration Managements; Columbia: Man ist das Risiko eben eingegangen. Flughafen Berlin: Es fehlt 1 Projektleiter, schon immer, und es ist immer noch keiner vorgesehen, das ist alles, das ist beim Bau einfach so, das wird auch noch lange so weitergehen. mfg Maier

 

Nathalie
Laissue

@Herr Maier: Besten Dank für Ihre Kritik. Falls Sie mit "so" die beschriebenen Denksysteme meinen, so empfehle ich Ihnen die Lektüre gemäss Quellenangaben: Das Wissen auf dem Gebiet der Verhaltensökonomie und Gehirnforschung hat sich in den letzten 10 Jahren stark entwickelt und ist wissenschaftlich zu Genüge belegt. Ihre Gegendarstellung zu den Ursachen der genannten Projektmisserfolge ist aufschlussreich: "Schlicht zuwenig getestet, das kommt vor… einfaches Problem des Configuration Managements ... Risiko eben eingegangen... ist beim Bau einfach so". Es handelt sich im Artikel übrigens nicht um den Flughafen in Berlin, sondern um ein Gepäckabfertigungssystem in Denver, USA. MFG N. Laissue

 

Gudula
Schoof

Hallo, vielen Dank für den Artikel, den ich mit einiger Verzögerung erst im heute erschienenen Newsletter des ProjektMagazins wahrgenommen habe. Wir machen in unseren Projekten natürlich auch Risikoabschätzungen. Der Artikel hat bei mir aber wieder einmal in Erinnerung gebracht, dass wir dabei auch gern mal in eigentlich bekannte Fallen tappen, was im vielzitierten Tagesgeschäft gern mal aus dem Fokus driftet - insofern Danke für den Anreiz, mal wieder über's Denken nachzudenken.

 

Ines
Teichner
Dr.

Hallo Frau Laissue, mich interessiert Ihr Ausblick auf den zweiten Teil des Artikels. Gibt es schon eine zeitliche Tendenz für die Veröffentlichung? Vielen Dank Ines Teichner