

Einmal war ich bei einer Firma, die kurze Zeit vorher mit Kanban angefangen hatte, so dass mir ihr Geschäftsführer jetzt stolz ihr Board zeigte. In der Tat war es beachtlich, was sie in kurzer Zeit bereits erreicht hatten, ohne dabei externe Unterstützung in Anspruch zu nehmen.
Einmal war ich bei einer Firma, die kurze Zeit vorher mit Kanban angefangen hatte, so dass mir ihr Geschäftsführer jetzt stolz ihr Board zeigte. In der Tat war es beachtlich, was sie in kurzer Zeit bereits erreicht hatten, ohne dabei externe Unterstützung in Anspruch zu nehmen.
Mit einem Kaffee in der Hand plauderten wir über Kanban und ihr Board (siehe Bild 1). Als ich dann die Frage nach den Warteschlangen im Postamt stellte, sah mich mein Gegenüber ungläubig an. Also holte ich etwas weiter aus:
"Als ich noch klein war, da gab es in jeder Postfiliale eine eigene Warteschlange für jeden Schalter. Wenn man dann an einem Samstagvormittag eine Sendung aufgeben wollte, musste man sich entscheiden, an welche Schlange man sich anstellen wollte (und natürlich war es immer die falsche Wahl, denn es stellte sich schnell heraus, dass es an allen anderen Schlangen viel schneller ging).
Heute sieht es in Postfilialen ganz anders aus. Es gibt nämlich nur noch eine einzige, zentrale Warteschlange, und erst, wenn man an der Reihe ist, wird man einem bestimmten Schalter zugeteilt. Warum könnte das so sein? Die Ein-Schlangen-Lösung hat mindestens drei große Vorteile:
Mein Gesprächspartner nickte die ganze Zeit eifrig mit dem Kopf, dies alles konnte er nachvollziehen. Dann sah er wieder auf das Board und fing an, laut zu denken: "Bei uns sind jetzt die Tickets auf dem Board die Kunden, die unterschiedliche Anliegen haben. Unsere Mitarbeiter sind die Schalter-Angestellten, die diese Anliegen bearbeiten. Im Moment weisen wir jedem Kollegen schon sehr früh seine Aufgaben zu. Wir arbeiten also im alten Schalter-System mit individuellen Warteschlangen.
Wenn ich so darüber nachdenke, dann können wir genau die Nachteile bei uns beobachten, die du von der Post geschildert hast. Eine Gesamt-Warteschlange wäre also auch bei uns die bessere Lösung. Dann müsste das Board aber anders aussehen."
Er nahm Schwamm und Whiteboard-Marker und änderte das Board-Design. Die "Swim Lanes" für die einzelnen Kollegen waren jetzt verschwunden. Stattdessen hatte er durch Avatare visualisiert, wer gerade an welcher Aufgabe arbeitet. Aufgaben, die noch nicht begonnen waren, wurden auch noch keiner Person zugeordnet.
"Genau!", erwiderte ich, "Jetzt hättet ihr ein ganz anderes System. Dies würde sogar noch ein weiteres Problem lösen, das ich bei euch vermute: Die Aufgaben haben doch nicht alle die gleiche Wichtigkeit für das Unternehmen, oder? Wenn jeder Kollege seine eigene Warteschlange hat, dann könnt ihr kaum gewährleisten, dass die wichtigsten Aufgaben auch zuerst bearbeitet werden. Ihr arbeitet dann nicht mehr nach Firmen-Priorität, sondern nach individueller Auslastung.
So kann es passieren, dass eine wichtige Aufgabe ewig lange liegen bleibt, weil der entsprechende Kollege sich gerade die Zähne an etwas ganz anderem ausbeißt (oder krank geworden ist). Gleichzeitig werden reihenweise weniger wichtige Aufgaben von einem anderen Kollegen abgearbeitet. Wenn ihr hingegen einen großen Pool von Aufgaben hättet, aus dem dann jeweils das Ticket mit der höchsten Priorität gezogen wird, sobald jemand eine andere Aufgabe abgeschlossen hat, dann wäre das doch besser, oder?"
Jetzt sah mein Gegenüber plötzlich sehr betrübt aus: "Du hast Recht. Und aus Business-Sicht ist das eigentlich eine Katastrophe. Aber es gibt ja einen Grund, warum wir so arbeiten, und der heißt Spezialisierung. Anders als in der Post kann bei uns natürlich nicht jeder Kollege jede Aufgabe übernehmen. Das mit dem großen Pool, aus dem sich jeder bedienen kann, ist bei uns nicht praktikabel. Oder doch? Vielleicht sollten wir unsere Kollegen darin ausbilden, dass sie breiter gefächerte Skills aufbauen und somit die Spezialisierung ein Stück weit aufbrechen. Das wird aber teuer und wird lange dauern..."
Sehen wir uns die Situation nun einmal aus der Vogelperspektive an. Sollte die Firma auf das neue System mit nur einer Warteschlange umstellen? Diese Frage lässt sich pauschal nicht beantworten. Denn dem genannten Nutzen stehen (wie immer) Kosten gegenüber. Vielleicht müssen wir unsere Kollegen ausbilden, damit sie generalisierte Skills entwickeln. Das kann eine erhebliche Investition darstellen.
Eine andere Lösung könnte darin bestehen, dass wir Pairs oder Mini-Teams bilden, die dann jeweils alle Skills in sich vereinen, um jede Aufgabe aus dem Pool zu erledigen. Das bedeutet dann, dass unsere Kollegen tendenziell unter-ausgelastet sind. Auch das kostet (nämlich Opportunitätskosten). Diese Entscheidung kann also nur im Einzelfall unter Abwägung der Kosten und Nutzen getroffen werden. Kanban hilft dabei, solche und andere sinnvolle Diskussionen anzustoßen.
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Hato
13.02.2015