Erfolgreich sein, wo andere scheitern Lernen aus Antarktis-Expeditionen – 5 Prinzipien für Teamerfolg

Lernen aus Antarktis-Expeditionen –  5 Prinzipien für Teamerfolg

Sie fragen sich, wie Sie Ihr Team besser führen und bei der Zielerreichung unterstützen können? Lassen Sie sich von den Südpol-Expeditionen der drei Antarktisforscher Amundsen, Scott und Shackleton inspirieren! Daniel Westermayr beschreibt, was Sie aus deren unterschiedlichen Führungsstilen lernen können und zeigt, welche fünf Prinzipien den Teamerfolg bestimmen.

Management Summary
  • Aus den Expeditionen in die Antarktis vor gut hundert Jahren lassen sich Erkenntnisse ableiten, welchen Einfluss Führung auf den Teamerfolg hat.
  • Die wichtigste Aufgabe als Führungskraft ist der Fokus auf ein strategisches Ziel. Frameworks wie 4DX oder OKR unterstützen dabei.
  • Messbarkeit ist ein wichtiges Hilfsmittel zur Zielerreichung. Die Formel "Von-auf-bis" schafft Klarheit und Fristen.
  • Die Expertise des Teams trägt wesentlich zum Erfolg bei. Die Methode Delegation Poker kann dabei unterstützen, das Team bei Entscheidungen stärker einzubinden.
  • Adaptive Führung ist reiner Planung überlegen. Basis für adaptive Führung sind geeignete Frühindikatoren für die Zielerreichung.
  • Wenn es dem strategischen Ziel dient, muss das Team auch unbekanntes Terrain betreten. Das erfordert Mut, Geduld und Experimentierfreudigkeit.
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Erfolgreich sein, wo andere scheitern Lernen aus Antarktis-Expeditionen – 5 Prinzipien für Teamerfolg

Lernen aus Antarktis-Expeditionen –  5 Prinzipien für Teamerfolg

Sie fragen sich, wie Sie Ihr Team besser führen und bei der Zielerreichung unterstützen können? Lassen Sie sich von den Südpol-Expeditionen der drei Antarktisforscher Amundsen, Scott und Shackleton inspirieren! Daniel Westermayr beschreibt, was Sie aus deren unterschiedlichen Führungsstilen lernen können und zeigt, welche fünf Prinzipien den Teamerfolg bestimmen.

Management Summary
  • Aus den Expeditionen in die Antarktis vor gut hundert Jahren lassen sich Erkenntnisse ableiten, welchen Einfluss Führung auf den Teamerfolg hat.
  • Die wichtigste Aufgabe als Führungskraft ist der Fokus auf ein strategisches Ziel. Frameworks wie 4DX oder OKR unterstützen dabei.
  • Messbarkeit ist ein wichtiges Hilfsmittel zur Zielerreichung. Die Formel "Von-auf-bis" schafft Klarheit und Fristen.
  • Die Expertise des Teams trägt wesentlich zum Erfolg bei. Die Methode Delegation Poker kann dabei unterstützen, das Team bei Entscheidungen stärker einzubinden.
  • Adaptive Führung ist reiner Planung überlegen. Basis für adaptive Führung sind geeignete Frühindikatoren für die Zielerreichung.
  • Wenn es dem strategischen Ziel dient, muss das Team auch unbekanntes Terrain betreten. Das erfordert Mut, Geduld und Experimentierfreudigkeit.

Dies ist eine Geschichte über Teams, Führung und Zielsetzungen. Die beschriebenen Ereignisse haben sich vor mehr als hundert Jahren abgespielt. Die Erkenntnisse, die wir daraus ableiten können, sind dennoch so relevant für die Zukunft von Unternehmen wie vielleicht nie zuvor.

Damals wie heute entstehen große Dinge nicht nur aus individueller Leistung, sondern hauptsächlich durch den Einsatz von Gruppen. Es gibt einen allgemeinen Konsens, dass nachhaltiger Erfolg in Organisationen – speziell in der VUCA-Welt– eng mit der Qualität von Teamarbeit zusammenhängt. Diese Erkenntnis mag nicht neu sein, dennoch beschäftigen sich mehr Unternehmen als je zuvor mit Teams, deren Dynamik, Kreativität und Produktivität.

Wann spricht man von einem "Team"?

Es gibt diverse Abhandlungen, was ein Team ist, jedoch keine allgemeinverbindliche Definition. Ich ziehe daher zur AbgrenzTeamung nur zwei Bedingungen heran, die mir schlüssig erscheinen.

  • Ein Team benötigt ein gemeinsames Ziel.
  • Der Erfolg darf nur unter Beteiligung aller Teammitglieder erreichbar sein.

Wenn es zwar ein gemeinsames Ziel gibt, dieses aber von Individuen innerhalb der Gruppe autonom erreichbar ist (wie z.B. in einem Sales-Team, wo manche ihre Verkaufsziele erreichen und andere nicht), dann sprechen wir von einem Pseudo-Team. Wenn man sich zwar gegenseitig braucht, aber kein gemeinsames Ziel verfolgt, kann man das als temporäre Verbundenheit bezeichnen. Und wenn keiner der beiden Faktoren gegeben ist, würde man von Co-Arbeitern sprechen.

Doch warum sind manche Teams erfolgreich, während andere scheitern? Welchen Rahmen kann, ja muss Führung setzen, um Teamarbeit erfolgreich zu machen? Nur zu gerne machen wir es uns einfach und beschränken uns auf "unterschiedliche Rahmenbedingungen": Andere Unternehmen sind so erfolgreich, weil sie mit anderen Strukturen arbeiten, bessere technische Voraussetzungen oder schlicht die begabteren Mitarbeiter haben. Was aber wäre, wenn die Grundlage von Erfolg in ganz anderen, fundamental einfacheren Prinzipien läge? Prinzipien, die jede Führungskraft im Unternehmen beherzigen und anwenden kann.

Denn: Auch wenn heute oft von selbstorganisierten Teams die Rede ist, das Bedürfnis nach Führung verschwindet nicht. Wie gut Teams funktionieren und zusammenarbeiten, hängt zu einem nicht unerheblichen Teil davon ab, wie sie geführt werden. Die nachfolgende Geschichte veranschaulicht diesen Zusammenhang und zeigt den Einfluss von Führungsstilen auf Teams und gesteckte Ziele.

Versetzen wir uns für einen Moment zurück an den Beginn des 20. Jahrhunderts, dem goldenen Zeitalter der Antarktis-Forschung. Während dieser Periode von circa 25 Jahren rückte die Antarktis in den Mittelpunkt internationalen Interesses, was zu einer intensiven naturwissenschaftlichen und geographischen Erforschung führte, während derer sechzehn (!) große Expeditionen von acht verschiedenen Ländern gestartet wurden. Allen Expeditionen gemein waren die begrenzten Mittel, die man zur Verfügung hatte, bevor weitere Entwicklungen in Logistik und Kommunikationstechnologie die Arbeit der Forscher vereinfachten.

Die Ausgangslage von Antarktis-Expeditionen ist komplex

Sehen wir uns die Rahmenbedingungen einer solchen Expedition an. Es geht um eine zu bewältigende Wegstrecke von rund 2.600 Kilometern, hin und zurück, bei Temperaturen von minus 25 Grad – im Sommer. Im Winter fallen die Temperaturen auch bis auf minus 65 Grad. Wir reden von Blizzards, Landschaften ohne Orientierungspunkte, der täglichen Gefahr von Erfrierungen, Schneeblindheit und eingeschränkten Möglichkeiten, Nahrung zu finden.

Wie wagt man in einer solchen Umgebung den Vorstoß zum Südpol? Man landet im Sommer auf dem Ross-Eisschelf, legt dann über die nächsten Monate nach und nach Verpflegungs-Depots entlang der geplanten Strecke an, immer weiter vom Ausgangspunkt entfernt, überwintert schließlich im Basislager und versucht im kommenden Sommer den finalen Run auf den Pol.

Ich greife aus dieser Zeit drei Expeditionen und ihre Führungspersönlichkeiten heraus. Sie liegen zeitlich nahe beieinander und ihr dramatisch unterschiedlicher Ausgang macht den Einfluss von Führung sehr deutlich.

  • Die Fram-Expedition unter Leitung von Roald Amundsen 1910-1912,
  • Robert F. Scotts tragische Terra Nova, ebenfalls 1910-1912 und
  • die nahezu unglaubliche Endurance von Ernest Shackleton, die zwischen 1914 und 1916 stattfand.
Die Antarktis-Expeditionen von Amundsen, Scott und Shackleton im Überblick
Bild 1: Die Antarktis-Expeditionen von Amundsen, Scott und Shackleton im Überblick

Roald Amundsen – Fram-Expedition (1910-1912)

Beginnen wir mit Fram, allein schon, weil die nüchternen Fakten schnell erzählt und die Ergebnisse eindeutig sind. Roald Amundsen hatte ursprünglich vor, als erster Mensch den Nordpol zu erreichen. Dem Südpol wandte er sich nur zu, weil er für sein ursprüngliches Ziel zu spät kam. Dies sollte ihm kein zweites Mal passieren und so ging er mit äußerster Konsequenz und Entschlossenheit ans Werk. Bei der Auswahl seiner Team-Mitglieder achtete er vor allem auf der Aufgabe angemessene fachliche Qualität, Erfahrung und Einbettung ins soziale Umfeld. Er entschied sich für eine einzige Art der Fortbewegung, nämlich Hundeschlitten, und wählte die kürzest mögliche Strecke vom Schelf zum Pol.

Um es kurz zu machen: Sein Team erreichte am 14. Dezember 1911 als erstes den Südpol, wo es die norwegische Flagge hisste. Was hat diese beeindruckende Leistung möglich gemacht? Zum einen legte Amundsen einen eindeutigen strategischen Fokus auf Schnelligkeit und richtete alle Ressourcen darauf aus. Er wählte ein kleines Team aus erfahrenen Experten und entschied konsequent entlang seines strategischen Fokus: Hunde sind schnell auf Schnee und Eis, können aber den Beardmore-Gletscher, die gewohnte Route aller bisherigen Expeditionen, aufgrund ihrer Steigungen nicht bewältigen. Folglich musste er eine andere, noch unerforschte Route vom Basislager zum Pol wählen – die dann auch noch einige hundert Kilometer kürzer war. Zum anderen zeigte er sich offen für neue Ideen, wenn sie dem Ziel dienten: Er erlernte von den Inuit die Verwendung alternativer Materialien und verfeinerte seine Ski-Fertigkeiten. Zu guter Letzt scheute er auch vor harten aber notwendigen Entscheidungen wie dem Opfern eines Teils seiner Hunde nicht zurück.

Letztlich brachte Amundsen 11 seiner 52 Hunde und alle seine Männer wieder zurück ins sichere Basislager. Man kann von einer 100%igen Zielerreichung sprechen.

Robert F. Scott – Terra Nova (1910-1912)

Schauen wir uns nun Robert F. Scotts Terra-Nova-Expedition an. Auch er wollte den Südpol mit seinem Team erreichen, möglichst auch als Erster – doch gab er sich eine ganze Reihe weiterer Ziele mit auf den Weg. Da ja eine Schiffsreise zum Südpol durchaus kostenintensiv war, wollte man diese Ressourcen optimal nutzen und neben dem Erreichen des Südpols möglichst viele wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen, dazu geologische, magnetische, meteorologische Studien durchführen, den Ross-Schelf erforschen und nicht zuletzt die Pinguinkolonie bei Cape Crozier besuchen und vielleicht ein frisches Pinguin-Ei für das Museum ergattern.

Man könnte von einer schwankenden Zielsetzung sprechen – immerhin war es ein konstantes Abwägen zwischen Schnelligkeit und wissenschaftlicher Gründlichkeit. Wie ging das nun aus? Nun, traditionell würde man sagen, dass, gemessen an der Vielzahl von Zielen, Scott sehr erfolgreich war: Nie zuvor konnten so umfangreiche wissenschaftliche Erkenntnisse über den Südpol oder das Ross-Schelf gewonnen werden. Sogar der Pinguin-Eier wurde man habhaft (man kann sie übrigens immer noch im Londoner Natural History Museum besichtigen).

Und auch den Südpol erreichte Scotts Team. Allerdings, als man am 17. Januar an der Koordinate 90° 0′ 0″ S ankam, was sahen die erschöpften Männer zuerst? Die norwegische Flagge. Dennoch, der Südpol war erreicht, und angesichts der widrigen Umstände und der Vielzahl von ausgegebenen Zielen scheinen die 35 Tage Verspätung marginal, nicht wahr?

Leider sterben Scott und alle seine Team-Kollegen auf dem Rückweg zum Basiscamp an Entkräftung, Kälte und Nahrungsmangel, nur elf Meilen vor dem rettenden Vorratsdepot. Nimmt man dies noch in die Berechnung ein, wie möchte man das Gesamtergebnis bewerten? Ist es ein Scheitern oder hat man (wie man gerne in Projekten sagt) "fast alle gesteckten Ziele erreicht"?

Im direkten Vergleich mit Amundsen fallen einige Dinge auf, die man als Begründung heranziehen kann, warum Scotts Team das große Ziel nicht erreichen konnte. So vertraute Scott den "bewährten" Methoden früherer Expeditionen, nämlich dem Transport mit Pferden. Das hatte man schon immer so gemacht. Leider haben Pferde den Nachteil, dass die Antarktis nicht ihr natürlicher Lebensraum ist – und man folglich alles an Nahrung separat und zusätzlich transportieren muss. Die Transportlast (wir erinnern uns, 2.600 km) wurde so um mehrere Tonnen Heu erhöht.

Wir sehen, eine unglückliche Entscheidung zieht andere unglückliche Konsequenzen nach sich. Scott, als Offizier der Navy mit traditionell militärischem Hintergrund, glaubte daran, bedeutsame Entscheidungen alleine treffen zu müssen, bei wenig Vertrauen in erfahrene Experten. Der berühmte Polarforscher Fritjof Nansen hatte ihm dringend Hunde für den Transport empfohlen. Scott lehnte ab, verließ sich stattdessen neben den Pferden auf völlig unausgereifte Motorschlitten, die schon in den ersten Wochen in der Kälte den Geist aufgaben.

Man könnte von wenig Vertrauen in Expertentum sprechen. Dazu kamen einsame Entscheidungen, mindestens eine davon fatal: Beim letzten Vorstoß zum Pol einen fünften Mann mitzunehmen, obwohl man nur mit Vorräten für vier geplant hatte. Man könnte sagen, Scott habe einen perfekten Plan ausgearbeitet mit wenig Raum für Abweichungen. Man könnte auch sagen, Scott habe versucht, ein "rotes Problem" mit "blauen Methoden" zu lösen, wie der Managementberater Gerhard Wohland es in seiner Terminologie beschreiben würde. Dabei steht Blau für wissensbasierte und Rot für könnenbasierte Strukturen (siehe Wohland, 2012). Leider erwies sich die Antarktis als unvorhersehbare Umgebung, was schließlich für ein katastrophales Ende sorgte.

Ernest Shackleton – Endurance (1914-1916)

Eine andere Geschichte hingegen erzählt Shackletons Endurance-Expedition, die wenige Jahre nach Fram und Terra Nova stattfand. Schon die Entstehungsgeschichte von Endurance gibt einen kleinen Hinweis auf die Fähigkeit von Shackleton, sich an neue Gegebenheiten anzupassen. Hatte er doch schon mehrmals vergeblich versucht, als erster Mensch an den Südpol zu gelangen. Als das nicht mehr möglich war, setzte er sich ein neues Ziel, nämlich als erster Mensch die Antarktis zu überqueren (wir erinnern uns an die Wegstrecken und Temperaturen...). Als auch das nicht mehr möglich war... aber ich greife vor.

Shackleton als Führungsfigur war durchaus mit Scott vergleichbar, kein Wunder, hatten sie doch beide einen militärischen Hintergrund. Ein fundamentaler Unterschied jedoch war die Vision, die Shackleton mit seinem Team teilen konnte. Der Legende nach sah die Annonce, mit der er um Mitstreiter für seine Expedition warb, so wie in Bild 2 aus.

Ernest Shackleton und Motivation: Die Formulierung der Anzeige erinnert an den berühmten Satz von Saint-Exupéry zum Thema "Schiffe bauen"
Bild 2: Ernest Shackleton und Motivation: Die Formulierung der Anzeige erinnert an den berühmten Satz von Saint-Exupéry zum Thema "Schiffe bauen"

Man kann damit schon erahnen, welchen Rang das Team in Shackletons Augen einnahm. Heute würde man dazu sagen, er habe seinem Team einen klaren "Purpose" gegeben. Und in der Tat wusste er, in welchem Maße Erfolg von der Qualität seines Teams abhängt (oder präziser: von der Interaktion zwischen seinen Teammitgliedern). Die Männer würden lange gemeinsam in beengten Umgebungen leben müssen, also war Humor eine wünschenswerte Eigenschaft im Team. Shackleton kannte sein Team auf allen Ebenen, wusste um Stärken und Schwächen und hatte ein offenes Ohr für jeden.

In einem entscheidenden Faktor war Shackleton gleichzeitig näher an Amundsen: Er war in der Lage, harte Entscheidungen zu treffen. Die Expedition selbst scheiterte nämlich zu einem vergleichsweise frühen Zeitpunkt, denn das Schiff, das sie bis ans polare Festland hätte bringen sollen, wurde vom Eis eingeschlossen, wie "eine Mandel in einem Stück Schokolade". Während Scott mit unbeugsamem Willen versucht hatte, den Erfolg zu erzwingen, war Shackleton nach dem endgültigen Untergang seines Schiffs emotional schnell in der Lage, ein neues großes Ziel auszugeben: alle Menschen heil nach Hause zu bringen. Wie muss es sein, tausende von Meilen von Zuhause entfernt zu sein und seinem Schiff beim Untergang zuzusehen? Den Zielwechsel halte ich für seine größte Leistung, erlaubte es ihm und seinen Männern doch, sich völlig neu zu fokussieren: auf alles, was zum Überleben notwendig war.

Und sie schafften das nahezu Unmögliche: Nach dem vergeblichen Versuch, Nahrungsdepots auf dem Festland zu Fuß zu erreichen, und einem mehrmonatigen Campieren auf einer großen Eisscholle, segelten sie zunächst mit den übrigen Rettungsbooten rund 160 km zur unbewohnten Elephant Island. Damit aber nicht genug: Ihre einzige Rettung würde es sein, in einem gerade mal rund sieben Meter langen Boot zur nächsten bewohnten Ansiedlung, der 1.500 km (!) entfernten Walfangstation auf Südgeorgien zu segeln. Unter den gegebenen Bedingungen vermutlich die großartigste navigatorische Leistung, die jemals vollbracht wurde.

Tabelle 1 zeigt einen Vergleich wesentlicher Führungseigenschaften der drei Expeditionsleiter.

Tabelle 1: Der Ausgang der drei Expeditionen war wesentlich von den Führungseigenschaften der Expeditionsleiter Scott, Amundsen und Shackleton geprägt

 

Roald Amundsen

Ronald F. Scott

Ernest Shackleton

Persönlichkeitstyp

Fokussiert

Dominant

Visionär

Führungsverständnis

Teamorientiert

Traditionell-hierarchisch

Teamorientiert

Kontakt zum Team

Nah

(klare Entscheidungen)

Distanziert

(einsame Entscheidungen)

Sehr nah

(stetige gemeinsame Entscheidungen)

Entscheidungsfindung

Entlang des strategischen Fokus

Entlang des Plans

Entlang der situativen Notwendigkeit

Zielverständnis und –stringenz

Geradlinige Zielsetzung

Schwankende Zielsetzung

Situative Zielsetzung

Flexibilität

Offen für Neues

An Bewährtem festhaltend, bewahrend

Offen für Neues

Was lehren uns die drei Expeditionen?

Priorisierung ist essenziell – die Ausrichtung auf ein strategisches Ziel auch

Die Ausrichtung auf ein strategisch wichtiges Ziel zu einem gegebenen Zeitraum ist damals wie heute essenziell. In vielen Unternehmen, deren Transformation ich begleite, höre ich Dinge wie "Das ist unsere Top-Priorität!... Und das sind unsere anderen zehn gleichsam wichtigen Ziele". Damit geht es Ihnen ähnlich wie Robert F. Scott mit seiner Terra-Nova-Expedition. Dessen ständiges Abwägen zwischen der möglichst schnellen Erreichung des Südpols (Hauptziel) einerseits und wissenschaftlicher Gründlichkeit (Nebenziele) andererseits führt zwar dazu, dass viele Erkenntnisse gewonnen und noch heute Pinguin-Eier in London bestaunt werden können – Scott und sein Team aber zahlen einen hohen Preis für diese schwankende Zielsetzung: Sie überleben den Rückweg nicht. Amundsen hingegen verfolgt mit seiner Fram-Expedition nur das eine Ziel: Er will den Südpol als Erster erreichen. Und ist damit erfolgreich.

Das Problem: Wenn Sie zu viele Ziele und Optionen gleichzeitig verfolgen, leidet – wie bei Scott – Ihre Kraft darunter. Ziele werden dadurch beliebig, und am Ende erreichen Sie keines davon wirklich, schon gar nicht mit Exzellenz. Ihre wichtigste Aufgabe als Führungskraft ist daher eine strategische Priorisierung.

Um strategisch zu priorisieren, empfehle ich Ihnen, folgenden Satz an eine prominente Stelle in Ihr Büro zu hängen: "Es wird immer mehr gute Ideen geben als Kapazitäten zu ihrer Umsetzung". Damit befreien Sie sich von der unterschwelligen Last, jede Option zur gleichen Zeit verfolgen zu müssen – oder zu wollen.

Danach erarbeiten Sie mit Ihren Teams, vorzugsweise in Workshops, Ihr strategisches Ziel für die nächste Zeitperiode. Frameworks wie 4DX (4 Disziplinen der Umsetzung) bzw. OKR (Objectives and Key Results), bieten hervorragende Richtlinien für die Definition von strategischen Zielen (siehe Blogbeitrag "Wie ich mit OKR den Fokus auf's Wesentliche behalte" und Literaturhinweise am Ende des Artikels). Bei der Implementierung dieser Frameworks haben wir gemeinsam mit unseren Kunden sehr gute Erfahrungen gemacht.

Beiden ist gemein, dass sie – im Gegensatz zu gewohnten Leistungskennzahlen – nicht nur abstrakt übergeordnete Ziele definieren (10% Umsatzplus!), sondern dass diese auch mit laufend veränderbaren Frühindikatoren kombiniert werden.

Ein sehr simples Beispiel für das Konzept von Frühindikatoren: Stellen Sie sich vor, Sie wollen 5 kg in drei Monaten abnehmen. Nun gibt Ihnen dieses Ziel keinen Hinweis auf mögliche Maßnahmen zur Erreichung Ihrer Leistungskennzahl "Gewichtsverlust". Sie brauchen zusätzliche Werte, die Sie in den drei Monaten tun, messen und vor allem stetig beeinflussen können. Vielleicht "2-mal Abendessen pro Woche ausfallen lassen" oder "einmal täglich joggen". Sie stellen also einen Bezug des Frühindikators zum finalen Ziel her und können laufend überprüfen, ob Sie sich Ihrer Leistungskennzahl konsequent annähern.

Erarbeiten Sie also mit Ihren Teams das strategische Ziel für die nächste Zeitperiode. Fragen Sie dabei nicht "nach dem Wichtigsten", sondern beginnen Sie mit der folgenden Frage "Angenommen, alle Unternehmensbereiche würden Ihr derzeitiges Leistungsniveau beibehalten – welches ist der eine Bereich, dessen Veränderung die größte Wirkung erzeugen würde?" Diese aus den "4 Disziplinen der Umsetzung" entnommene Frage verändert den Blickwinkel und ermöglicht es zu identifizieren, wo der Fokus für maßgebliche Wirkung liegen sollte.

Verwenden Sie nicht zu wenig Zeit auf die Definition Ihres absolut vorrangigen Ziels. Nichts ist kostspieliger, als mittelfristig festzustellen, dass der Kontext nicht gut genug verstanden wurde und daher nicht alle auf das Gleiche hinarbeiten.

Fokus, Fokus, Fokus

Das wichtigste Hilfsmittel zur strategischen Priorisierung ist Fokus, Fokus und noch einmal Fokus. Wagen Sie ein Experiment: Zählen Sie über einen bestimmten Zeitraum die "Neins" in Ihrem Unternehmen oder in Ihrer Einheit – wie oft lehnen Sie aktiv Dinge ab, die nicht zu Ihrem aktuellen strategischen Ziel passen? Wenn Sie auf weniger als fünf kommen, dann haben Sie keinen Fokus. Ein Teil Ihrer Energie fließt ab, ähnlich wie Scotts Kräfte abnahmen bei der Suche nach dem Pinguin-Ei. Ein "Ja" kann nur dann eine Bedeutung entfalten, wenn es auch ein Nein geben kann. Fokus erfordert Disziplin.

Damit das Ziel im Fokus bleibt, vereinbaren Sie Fristen, messen Sie und visualisieren Sie den aktuellen Stand auf dem Weg zum Ziel. Ohne messbare Daten gibt es statt einer Realität nur eine Meinung und das führt nahtlos zu Indifferenz in Ihrem Team – was ich leider in Organisationen nur zu oft wahrnehme. "Gute Sache, wir haben Fortschritt erzielt", wenn man irgendwie das Gefühl hat, woanders zu sein als vorher. Sie mögen damit zufrieden sein, Fortschritt in einigen Teilzielen erreicht zu haben. Leider kann das wertlos sein, wenn man an seinem Hauptziel (denken Sie an Scott!) scheitert. 4 x 95% können in Summe 0% sein.

Sie brauchen Messbarkeit, um einen Bezug zum aktuellen Stand herzustellen und objektiv beurteilen zu können, ob Sie Ihr Ziel erreicht haben oder nicht. Die Formel "Von-auf-bis" schafft Klarheit: Sie beinhaltet den Ist-Zustand, das angestrebte Ziel sowie den gegebenen Zeitraum. Ein einfaches Beispiel aus dem Freizeit-Sport könnte für das Laufen lauten: "Von 0 auf 5 Kilometer bis Ende des Jahres". Wenn ich mit Kunden für Software-Projekte zusammenarbeite, verwende ich gerne die Durchlaufzeit von Aufgaben, z.B. "Von einer mittleren Durchlaufzeit von 23 Tagen auf 15 Tage in den nächsten 6 Monaten".

Fragt eure Experten – und hört wirklich zu!

Wenn Sie ein großes und wichtiges Ziel identifiziert haben: Sprechen Sie mit den Experten in Ihrer Organisation. Nutzen Sie deren Erfahrung und hören Sie ihnen wirklich zu. Das hört sich wie ein No-Brainer an? Nur zu oft werden Entscheidungen (z.B. für Tools, Architekturen oder auch neue Features) ohne die Leute getroffen, die es betrifft. Wenn Sie das tun, verhalten Sie sich wie Scott, der nach den besten Optionen für Schlitten im Eis fragt und dann den Rat zu Hunden ablehnt und doch das tut, was er immer getan hat: Pferde nehmen.

Um die Expertise Ihrer Teams in Entscheidungen häufiger einzubinden, können Sie z.B. Folgendes tun: Spielen Sie mit Ihrem Team Delegation Poker und diskutieren Sie gemeinsam, was passieren muss, um Ihren aktuellen Delegationslevel um mindestens eine Stufe zu erhöhen.

Adaptive Führung schlägt Planung – immer!

Schon der preußische General von Moltke wusste, dass kein Plan die erste Feindberührung überlebt. Auch Ernest Shackleton machte diese Erfahrung während seiner Endurance-Expedition. Obwohl die geplante Antarktisüberquerung scheiterte, weil sein Schiff im Schelfeis steckenblieb und sank, schaffte Shackleton es, durch Entscheidungen entlang der situativen Notwendigkeit sein Team sicher nach Hause zu bringen.

Ich wundere mich oft, dass man in vielen Unternehmen noch an statische Roadmaps und Release-Pläne glaubt. Falls das bei Ihnen auch so ist, versuchen Sie stattdessen, gemeinsam mit Ihrem Team Frühindikatoren zu bestimmen, also prognostische Messwerte, die während der gesamten Projektlaufzeit von Ihrem Team beeinflussbar bleiben und einen Bezug zur gewünschten Ergebniskennzahl haben (siehe Beispiel "Abnehmen" unter Priorisierung). In kurzen Zeiträumen (Tag oder Woche) definieren Sie Maßnahmen, deren Umsetzung Sie zu Ihrem Ziel führt.

Ein Praxis-Beispiel: Gemeinsam mit einem Kunden haben wir den aktuellen Durchsatz (Menge entwickelter Stories pro Sprint) gemessen und so ermittelt, dass das anvisierte Zieldatum unhaltbar ist. Wir haben verschiedene Maßnahmen (Scope-Reduktion, Teamveränderung…) in die Wege geleitet und können laufend überprüfen, ob sie uns dem ursprünglichen Ziel wieder näherbringen. Wir haben so einen Just-In-Time-Plan erzeugt, der uns schnelle Anpassung ermöglicht, während wir gleichzeitig auf unser initiales Ziel konzentriert bleiben.

Das ist adaptive Führung und nur möglich, wenn Sie während der Projektlaufzeit messbare Daten ermitteln, anhand derer Sie relevante Entscheidungen treffen können.

Unbekanntes Terrain ist in Ordnung – wenn es dem strategischen Ziel dient

Amundsen wusste, dass er für einen Erfolg Dinge anders tun musste, als sie bisher getan worden waren. Sein Weg über den Axel-Heiberg-Gletscher war völlig unerforscht, aber eben mehrere hundert Kilometer kürzer als Scotts Route und für seine Hunde geeignet – was am Ende den Unterschied ausmachte.

Der Aufbau und die laufende Verfolgung messbarer Daten während des Projekts (Frühindikatoren) ist für ein Unternehmen oder eine Einheit oft unbekanntes Terrain, daher bedarf es gerade zu Beginn einer gewissen Experimentierfreudigkeit und Geduld. Am Ende sind es jedoch genau die mithilfe von Frühindikatoren ermittelten Daten, die den Unterschied ausmachen. Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem theoretischen Verständnis, was Sie tun sollten, um Ihr strategisches Ziel zu erreichen, und der tatsächlichen Messung, wo Sie auf dem Weg zu Ihrem strategischen Ziel stehen. Im vorherigen Beispiel wäre ein solcher Frühindikator z.B. die Menge entwickelter Stories pro Sprint im Vergleich zum Gesamt-Projektumfang.

Ich bin in meiner Funktion als agiler Coach oft mit Teams konfrontiert, die vor und nach ihrer Transformation keinen Unterschied erkennen – weil sie die gleichen Dinge auf die gleiche Weise tun, nur anders etikettiert. Wenn wir keinen Unterschied erkennen, dann liegt das daran, dass es keinen gibt. Um andere (bessere) Ergebnisse zu erhalten, müssen wir Dinge spürbar anders tun: Wir müssen uns auf neues Gebiet vorwagen und den Risiken – die es immer gibt – mutig entgegensehen.

Verwenden Sie folgende Fragen im Workshop als Diskussionsanstoß bzw. zum Brainstorming für Ihre Frühindikatoren:

  • "Welche völlig neuen Dinge können wir tun, die uns unserem Ziel wirklich näherbringen?"
    Eine Frage, die Raum für Innovation eröffnet.
  • "Welche Stärken unseres Teams können wir als Hebel nutzen?"
    Mit dieser Frage generieren Sie Ideen in den Bereichen, in denen Ihr Team bereits Erfolg hat, aber seine Leistung noch weiter steigern kann.
  • "Welche Schwächen halten uns womöglich davon ab?"
    Diese Frage beschreibt mögliche Risiken auf dem Weg zum Ziel.

Erfolg liegt im Auge des Betrachters

Zu guter Letzt möchte ich Ihnen noch eines mit auf den Weg geben, das mir gerade im Zuge der Corona-Krise wichtig erscheint: Die Definition von Erfolg liegt im Auge des Betrachters und ändert sich laufend. Nur zu oft konkurriert kurzfristiges Denken mit Nachhaltigkeit. Ernest Shackleton galt sein Leben lang als Versager, weil er alle seine ambitionierten Ziele verfehlte. Robert F. Scott galt über Jahrzehnte hinweg als Held ob seiner Opferbereitschaft. Wir alle neigen dazu, diesen einen Moment in der Zeit zu beurteilen. Manchmal bewirkt ein wenig Abstand eine völlig andere Sicht auf die Dinge. Wenn also das Ergebnis mal vordergründig nicht so großartig aussieht, dann denken Sie an Ernest Shackleton und Robert F. Scott und daran, wie Sie mit ein wenig Abstand urteilen würden.

Literatur

  • Covery, Sean et. al.: "Die 4 Disziplinen zur Umsetzung: Strategien sicher umsetzen und Ziele erfolgreich erreichen" (Aus dem Engl.: "The 4 Disciplines Of Execution"), Redline, München 2016
  • Doerr, John: "Measure What Matters. OKRs: The Simple Idea that Drives 10x Growth", Penguin, New York (USA) 2018
  • Huntford, Roland: Scott and Amundsen: "The Last Place on Earth", Hodder and Stoughton, London 2000
  • Koehn, Nancy: "Leadership Lessons From the Shackleton Expedition", in: The New York Times Online, 2011, https://www.nytimes.com/2011/12/25/business/leadership-lessons-from-the-shackleton-expedition.html
  • Kozlowski, Steve; Bell, Bradford: "Work Groups Teams in Organizations", in: https://digitalcommons.ilr.cornell.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1396&context=articles.
    Metastudie zu Arbeitsgruppen in Organisationen, 2001, Cornell University, New York (USA) 2001
  • Perkins, Dennis et al.: "Leading at The Edge: Leadership Lessons from the Extraordinary Saga of Shackleton's Antarctic Expedition", in: https://syncreticsgroup.com/leading-at-the-edge/
    10 Lektionen aus der Shackleton Expedition – mit Buchverweis
  • Wohland, Gerhard; Wiemeyer, Matthias: "Denkwerkzeuge der Höchstleister: Warum dynamikrobuste Unternehmen Marktdruck erzeugen", Unibuch, Lüneburg 2012

 

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