Projektmanagement in der Krise

Corona hat uns gelehrt, was uns möglicherweise künftig noch andere globale Krisen zeigen werden: Große Teile der Belegschaft sind nicht mehr im Betrieb, sondern im Homeoffice – doch die Projekte müssen natürlich trotzdem weiterlaufen. Kein Problem, möchte man in Zeiten der Digitalisierung denken. Wozu gibt es die Video-Konferenz? Das klappt doch auch virtuell. Wirklich?

Projektmanagement in der Krise

Corona hat uns gelehrt, was uns möglicherweise künftig noch andere globale Krisen zeigen werden: Große Teile der Belegschaft sind nicht mehr im Betrieb, sondern im Homeoffice – doch die Projekte müssen natürlich trotzdem weiterlaufen. Kein Problem, möchte man in Zeiten der Digitalisierung denken. Wozu gibt es die Video-Konferenz? Das klappt doch auch virtuell. Wirklich?

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26.06.2024
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Natürlich gibt es vereinzelt Projekte, in denen das virtuelle Projektmanagement funktionierte. Wir reden hier jedoch über jene Projekte, deren Probleme mir gestresste Projektleiter*innen in den zurückliegenden Wochen vermehrt berichtet haben. Eine Projektleiterin erzählt: "Virtuelle Meetings? Ein ziemlicher Reinfall. Seit wir uns am Bildschirm treffen, ist die Kreativität im Projektteam halbiert – wenn sie überhaupt entsteht!" Beim einen wackelt die Leitung, beim anderen macht sich die Katze auf der Tastatur breit, beim dritten schreit im Nebenraum das Baby – wie soll man sich da auf die Arbeit konzentrieren, geschweige denn kreativ sein können?

Kreativität kaputt

Selbst wenn die Technik funktioniert und alle Haustiere auf der Kuscheldecke Platz genommen haben: Es ist nicht dasselbe. Im Präsenzmeeting wirft man sich kreativ in rascher Folge die Bälle zu: Wie könnten wir die Projektstruktur optimal aufbauen? Passt das von der Logik? Brauchen wir für die Arbeitspakete eine kleinteiligere Aufteilung? Wenn fünf, sieben, zehn kompetente Leute physisch an einem Tisch sitzen, gegenseitig ihre Sätze ergänzen und sich mit guten Ideen ins Wort fallen – da kommt was zustande, da entwickelt das Team die nötige kognitive Kraft, um komplexe Projekt sauber auf den Weg zu bringen.

Bei sieben Leuten am Bildschirm hört man dagegen manchmal die alte Wanduhr beim Kollegen ticken, weil die kollektive virtuelle Lethargie herrscht – oder Ratlosigkeit. Der Mensch ist ein soziales Wesen, auf direkte Interaktion angewiesen und virtuell ist nun mal weder sozial noch direkt – schon allein aus technischen Gründen nicht.

Die Regeln verbieten es

In den besten Projektmeetings geht es oft wie beschrieben chaotisch zu: Man fällt sich gegenseitig ins Wort, unterbricht sich – aber es ist eben meist ein konstruktives, kreatives Chaos. Es produziert Lösungen. Bei zig Leuten am Bildschirm geht das schon rein akustisch nicht: Wenn alle durcheinanderreden, kriegt keiner mehr was mit. Also verbieten es die Regeln. Alle müssen zuhören, andere ausreden lassen – in den meisten Fällen ist das der Tod der Kreativität.

Auch deshalb, weil man zwar die Köpfe der Kolleg*innen sieht, aber nicht die Pinwand oder eine andere Visualisierung, die absolut nötig ist, um bei den komplexen Sachverhalten eines Projekts den Faden nicht zu verlieren. Gewiss gibt es Situationen, in denen eine Video-Konferenz nützlich und produktiv ist. Doch es gibt mindestens ebenso viele Situationen, in denen die virtuelle Technik nicht das liefert, was man sich erwartet von ihr und was man braucht.

Ganz zu schweigen davon, dass sich am Bildschirm keiner das getraut, was in Präsenzmeetings der Normalfall ist: Dass man hinter vorgehaltener Hand dem Nebenmann oder der Nebenfrau auch mal PM-Grundsatzfragen stellt: Sag mal, wie war das nochmal bei uns mit den Arbeitspaketen? Ist dieser Vorgang nun auf dem kritischen Pfad oder nicht? Haben wir die frühestmögliche Information bei sich abzeichnenden Verzögerungen im Arbeitspaket vereinbart oder läuft alles so wie immer? Solche Grundsatzfragen zu stellen traut man sich in der Video-Konferenz meist nicht.

Die Folge sind eifrig nickende Köpfe am Bildschirm, die nach dem Ausloggen zwar motiviert loslegen wollen – doch was soll dabei herauskommen, wenn ihnen grundlegende Sachverhalte unklar sind?

Der Gipfel der Ineffizienz

Dann vereinbart man für, sagen wir, Dienstagmorgen die Zusendung der Meilenstein- oder Arbeitspaket-Planung, der Dienstagmorgen kommt und mit ihm die Planung und wären wir im Präsenzmeeting, kämen in rascher Folge die Einwürfe: Geht hier nicht! Dort haben wir eine Terminüberschneidung! Dafür sind doch nicht genügend Kapazitäten da!

Und dann klärt und korrigiert man das in einer halben oder in längstens einer Stunde. Am Bildschirm oder per E-Mail dauert das deutlich länger. Manchmal auch nicht – doch ich habe es in den Corona-Wochen eben leider oft genug so erlebt.

Agil in der Krise?

Insbesondere agiles Projektmanagement lebt davon, dass Teammitglieder sich regelmäßig informell und persönlich austauschen – wie soll das virtuell mit derselben agilen Lebhaftigkeit und Vertraulichkeit funktionieren? In Lockdown und Homeoffice kommt man eben nicht täglich persönlich zusammen und tauscht sich aus.

Projektleiter klagen: "Virtuell geht das zwar auch in groben Zügen – doch ich muss meine Teammitglieder sehr viel intensiver betreuen, mich umfangreicher auf die Video-Konferenzen vorbereiten und wir müssen viel größere Anteile der Kommunikation aufwändig schriftlich erledigen." Wer hat dafür denn die Zeit?

Vorbei? Wer sagt das?

Manchmal seufzen Projektleiter: "Gut, dass das jetzt vorbei ist!" Das halte ich für übereilt. Denn nach der Krise ist vor der Krise: In vielen Unternehmen ist z.B. das Digitale immer noch nicht weit genug, sodass in einer Krise alle jederzeit auf alle nötigen Dateien zugreifen können – die Corona-Krise zeigte das überdeutlich. Wer das jetzt nicht korrigiert, den trifft die nächste Krise umso härter.

Das gilt nicht nur für die Technik, sondern auch für die Geschäftsleitung und das Management. Schon vor der Krise managte das Strategische Multi-Projektmanagement in vielen Unternehmen die Kapazitätsauslastung nach dem Prinzip: "Unsere Leute sind zu 100% mit Tagesarbeit und zu 100% mit Projektarbeit ausgelastet."

Da knirschte es bereits vor der Krise mächtig, wurde in der Krise als strategischer Wahnsinn entlarvt – und was lernen wir nach der Krise daraus? In vielen Unternehmen lautet die Antwort: nichts. Es geht weiter wie bisher und wie bisher werden die Leute in diesem System systematisch verschlissen. Andere lernen aus der Krise und machen sich ehrlich.

Zwei Lessons Learned

In anderen Unternehmen höre ich ganz oben andere Stimmen, z.B.: "Die Krise hat uns gezeigt, dass wir verantwortungsvoller mit unseren Personalkapazitäten umgehen müssen. Ab sofort gilt: Nicht jede grandiose Idee eines Bereichsleiters wird automatisch zum Projekt."

Auch Projektleiter*innen haben aus der Krise gelernt, darunter auch jene, die vor der Krise nicht ausgesprochen transparent kommunizierten, viele Dinge für sich behielten, den aktuellen Projekt-Status und andere Informationen erst einmal auf dem eigenen Schreibtisch horteten und mit dem Need-to-know-Hinweis rechtfertigten: "Das müssen meine Leute nicht wissen!"

Diese Intransparenz flog ihnen in der Krise heftig um die Ohren, weil ihre Teammitglieder nicht vor Ort im Betrieb den Flurfunk anzapfen und ihre Info-Defizite ausmerzen konnten. Krise braucht doppelte Transparenz – und wer diese Doppel-Dosis auch nach der Krise beibehält, wird zwar überrascht, jedoch zwangsläufig feststellen: Doppelt kommuniziert besser! Auch und gerade außerhalb jeder Krise.

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Videokonferenzen sind eine gute Alternative zu Präsenzmeetings – insbesondere wenn die Projektmitarbeiter an verschiedenen Standorten arbeiten.

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Alle Kommentare (4)

Frank-Dieter
Berg

Hallo Herr Tumuscheit,

so ganz deckt sich Ihr Artikel mit meinen fast durchweg guten Erfahrungen nicht. Wenn Sie schreiben "in den besten Projektmeetings geht es oft wie beschrieben chaotisch zu: Man fällt sich gegenseitig ins Wort, unterbricht sich – aber es ist eben meist ein konstruktives, kreatives Chaos", beschreiben Sie dann nicht einen Zustand, den wir auch im Präsenzmeeting oft genug kritisiert haben? Mangelnde Vorbereitung der Teilnehmer, keine Struktur in der Besprechung und hinterher keine brauchbaren Ergebnisse und schon gar keine Dokumentation derselben?

Eine Übertragung dieser Arbeitsweise in die virtuelle Meeting Welt muss natürlich scheitern. In dieser muss man sich auf eine andere, strukturiertere Arbeitsweise einlassen und sie erfordert vom Leiter der Besprechung erheblich mehr Vorbereitung. Solche Meetings können dann aber auch erheblich produktiver und effizienter sein als das unstrukturierte Chaos vor Ort. Voraussetzung ist, dass man sich auf das neue Medium einlässt und verabredet, wie man Diskussionen führt und steuert. Einige unserer Kunden bestätigen sogar, dass die online Situation ihnen hilft ihre bekanntermaßen ausschweifende Meetingkultur zu bändigen.

Meine Tipps dazu wären:

- Bestimmen Sie einen Moderator, der die gesamte Sitzung leitet.

- Legen Sie im Voraus klare Ziele, Zeiten und die zu verwendenden Werkzeuge für die Konferenz fest und stimmen Sie diese mit den Teilnehmern ab.

- Nutzen Sie virtuelle Flipcharts/Pinnwände oder Mindmaps. So können Sie eine „echte“ Meeting-Situation sehr gut simulieren. Nutzen in Sie in größeren Runden Breakout Sessions, um parallel in kleinen Teams an Themen zu arbeiten.

- Verteilen Sie daher die Themen auf mehrere, kurze Sitzungen, anstatt alles in eine zu packen. Falls es doch ein längeres Meeting wird, machen Sie nach spätestens einer Stunde eine Pause.

- Mit einer Mitschrift vermeiden Sie Unklarheiten und nachträgliche Diskussionen.

Hallo Herr Berg,

da haben Sie natürlich Recht: Es gibt in Projekten (mindestens) zwei Arten von Chaos. Jenes, das aus mangelhafter oder fehlender Vorbereitung und mangelnder Moderation herrührt und jenes, das nach tadelloser Vorbereitung und professioneller Moderation manchmal auftritt, wenn geniale Teammitglieder in einem Brainstorming, das den Namen verdient, sich zu ungeahnten Höhe der Kreativität, Lösungsfindung und Innovation aufschwingen. Das erste Chaos ist destruktiv, wie Sie bemerkt haben, das zweite, auf das ich mich bezog, ist konstruktiv. Doch was für ein schönes Thema Sie da für einen gesonderten Beitrag herausgepickt haben: Chaos im Team!!

Tomas
Bohinc
Dr.

Lieber Herr Tumuscheit,
Sie haben Recht! Das Projektmanagement ist in der Krise. Aber Krisen per se sind nichts schlimmes, sondern immer eine Chance für Lernen und Entwicklung. 1988 hat Peter Heintel das Buch "Projektmanagement - Eine Antwort auf die Hierarchiekrise?" veröffentlicht. Darin beschreibt er, wie Projektmanagement die anonymen und starren hierarchischen Strukturen der Organisation verändert. Selbst habe ich in dieser Zeit, als ich bei einer Behörde arbeitete erlebt, wie erfrischend Mitarbeiter die Projektarbeit empfanden. Hier erlebten Sie eine neue Art der Arbeitsbeziehung. Projektmanagement-Trainings waren in dieser Zeit auch immer ein Motivationsschub für die Mitarbeiter.
Dieses traditionelle Projektmanagement ist in die Krise gekommen. Und nicht erst seit Corona. Schon vor 10 Jahren hat das große Telekommunikationsunternehmen bei dem ich arbeitete, angefangen virtuelle Teams, Homeoffice und Webkonferenzen einzuführen. Aus zwei Gründen: einerseits kam es den Mitarbeitern entgegen, die ihr Privatleben besser mit dem Berufsleben verbinden konnten und andererseits wurden Büroflächen und damit Kosten eingespart. Dir Corona-Krise hat diesen Trend verstärkt, da jetzt noch der Schutz der Mitarbeiter vor Infektionen eine Arbeit auf Distanz notwendig macht.
Frank Peter Berg hat gut beschrieben, wie man WebMeetings so gestalten kann, dass diese produktiv sind. Das gleiche gilt für das Homeoffice. Wenn die Katze über die Tastatur läuft oder das Kind im Nebenraum zu hören ist, heißt dies nur, dass die Rahmenbedingungen für das Arbeiten zu Hause nicht stimmen.
Unternehmen und jeder Mitarbeiter sollte diese Krise nutzen, um sich auf eine neue Arbeitswelt vorzubereiten. Genauso wie Mitarbeiter in Projektmanagement-Trainings das Arbeiten in Projekten und Teams gelernt haben, müssen Sie jetzt lernen, mit elektronischen Medien und in der physischen Distanz zu ihren Kollegen zu arbeiten. Und dies bedeutet vor allem, eine professionelle Arbeitsumgebung in den eigenen vier Wänden zu schaffen, die elektronischen Medien kreativ zu nutzen und zu lernen, wie Mitarbeiterführung auch ohne die persönliche Nähe gut klappt. Das projektmagazin hat übrigens eine Fundgrube eingerichtet für Artikel, die helfen, sich mit der neuen Situation zurecht zu finden: https://www.projektmagazin.de/corona

Lieber Herr Bohinc,

wenn doch nur mehr Praktiker Ihre positive Sicht auf die oder jede andere Krise teilen würden! Und natürlich müssen wir die Füße auf den Boden bekommen und uns das Digitale Projektmanagement aneignen – auch wenn es, wie beschrieben, derzeit noch mächtig knirscht. Doch wie Sie aus Ihrer bemerkenswerten Praxiserfahrung und Ihren eigenen vielbeachteten Büchern appellieren: Wir wollen das Knirschen nutzen, um auch und gerade virtuell besser zu werden. Home Office ist keine Ausrede für schlampiges Projektmanagement – da sind wir uns einig!