Für eilige LeserInnen: Kaufen, plakativ auf den Schreibtisch legen und so tun, als ob man es gelesen hätte!
Alle anderen sollten sich jetzt zurücklehnen und etwas Zeit mitbringen, denn dieses Buch ist nicht in ein paar Sätzen zu rezensieren, sondern erfordert eine differenzierte Betrachtungsweise.
Zunächst eine wichtige Vorbemerkung zu Titel und Cover: Hier wird suggeriert, dass es sich um ein Infotainment-Buch wie "Der Termin" handelt. Titel, Cover und der Hinweis auf "Der Termin" sind aber lediglich Marketing-Gags des Verlags und wecken eine vollkommen falsche Erwartungshaltung bei den Lesern. Vergessen Sie also das nette Bildchen, die falsche Übersetzung von "Waltzing with Bears: Managing Risk on Software Projects" und die Assoziation mit den unterhaltsamen Werken deMarcos. Hier geht es an's "Eingemachte", um echtes, oder wie es im Buch genannt wird, "erwachsenes" Projektmanagement.
Softwareprojekte sind von einem bösartigen Virus befallen. Leider kein Virus aus Programm-Code oder DNA, sondern von einem psychologischen Virus. Dieser Virus ruft vielfältige Krankheitsbilder hervor. Eines davon wird mit "Augen zu und durch" beschrieben, ein anderes heißt: "Wehe dem Warner". Dieser Virus macht auch vor der Übersetzung des Untertitels nicht halt. Da muss unbedingt das Wort "Erfolg" rein. Vollkommener Blödsinn. Es geht um Risikomanagement, nicht um Erfolg. In noch keiner Versicherungswerbung habe ich den Satz gelesen: "Mit einer Unfallversicherung reich werden." Aber im IT-Projektmanagement gelten eben andere Regeln. Wenn den Verlag schon der Mut verließ, den Titel richtig zu übersetzen, wie mag es dann erst den Lesern gehen, die in IT-Projekten auf einmal sagen sollen: "Die Wahrscheinlichkeit diesen Termin einzuhalten beträgt 10%"?
Aber zum Glück gibt es ja Tom deMarco, auf den man sich ab jetzt berufen kann und der uns Leser Schritt für Schritt zuerst Horrorszenen aus der Realität des Softwareprojektmanagements zeigt und dann Hilfestellungen, wo wir konkret ansetzen können, ohne gleich als Miesmacher, Pessimist und nicht ausreichend erfolgsorientiert zu gelten.
Der größte Nutzen dieses Buches liegt denn auch nicht in der stark vereinfachten, teilweise sogar fragwürdigen Darstellung der Methoden des Risikomanagements, sondern in den sehr ausführlichen Überlegungen zu den Problemen im Software-Projektmanagement.
Im wesentlichen dreht es sich hierbei um die zwei typischen Probleme bei Softwareprojekten. Da ist zunächst die mangelnde Termintreue durch die Verwendung der minimalen Dauer statt der häufigsten Dauer. Zur Beschreibung dieses Phänomens erfinden die Autoren sogar einen eigenen Begriff: Das "Nano-Prozent-Datum". Gemeint ist damit lediglich, dass Auftraggeber (interne oder externe) den technisch frühest möglichen Termin als Fertigstellungstermin ansetzen. Mit dem Effekt, dass es ein Todesurteil für die Karriere ist, früher als geplant fertig zu werden, sondern man die Projektdauer um mindestens dreißig Prozent überziehen muss.
Das zweite Problem ist die übliche (deswegen aber noch lange nicht richtige) Abwesenheit exakter Spezifikation und die beständige Veränderung bzw. Präzisierung derselben während der Projektlaufzeit.
Um beide Probleme in den Griff zu bekommen, schlagen die Autoren eine Kombination der Projektstrukturierung (Work Breakdown Structure) mit Aufwandsschätzung und Nutzwertanalyse vor. Das ganze resultiert in einem inkrementellen Produktentwicklungsprozess, bei dem die wichtigsten Funktionen zuerst umgesetzt werden und so das Schadenspotential durch eintretende Risiken beständig vermindert wird. Wer mehr wissen will, muss das Buch schon selber lesen.
Eiligen Lesern empfehle ich folgende Reihenfolge:
- Kapitel 23: "Risikomanagement-Test." Hier erhalten Sie eine Einschätzung darüber, ob das, was Sie Risikomanagement nennen, seine Bezeichnung verdient.
- Kapitel 13: "Kernrisiken von Softwareprojekten." Hier handelt es sich nicht um Risiken im eigentlichen Sinne des Projektmanagements, sondern um die Beschreibung weit verbreiteter und sehr häufiger, nichtsdestotrotz katastophaler Managementfehler. Die Umbenennung dieser Fehler in Risiken eröffnet IT-Managern eine goldene Brücke, ihre bisherige Praxis unter dem Slogan "Risikomanagment" zu korrigieren.
- Kaptiel 16: "Risikoverminderung in inkrementellen Schritten." Ein gewagter Ansatz. Wenn er klappt, ist er sicher ein wichtiger Schritt nach vorne.
- Kapitel 22: "Risikomanagement: Das verfeinerte Konzept." Bravo. Sehr gut. Wer bereits etwas von Risikomanagement gehört hat, dem reicht sogar dieses Kapitel.
Und der Rest? Nun, der steigert den Unterhaltungswert, führt über viele verschiedene Hemmschwellen hinweg, streicht den Lesern Honig um den Mund und ist wie immer bei Tom deMarco angenehm zu lesen.
Aber Vorsicht! Dieses Buch kann Ihre Karriere gefährden!
Hierzu möchte ich die Autoren selbst zu Wort kommen lassen:
"Die größte Herausforderung ist eine Einstellung zum Thema Unsicherheit, die selbst die wohlmeinendsten Bemühungen vereiteln kann. Diese Haltung lässt sich so beschreiben: "Es ist okay, falsch zu liegen, aber nicht okay, unsicher zu sein." ... Wenn Ihre Unternehmenskultur Ihnen nicht zugesteht, Unsicherheit zuzugeben, können Sie kein Risikomanagement betreiben. Schluss. Aus. Fertig."
Bevor Sie die Ratschläge des Buches umsetzen, versichern Sie sich also, dass Ihr Vorgesetzter es auch gelesen und verstanden hat. Wenn Sie selbst Führungskraft sind, dann lesen Sie es schnell, bevor Ihre Mitarbeiter fragen, ob Sie das Buch schon gelesen haben.
Und zum Schluss noch einmal: "Waltz" ist nicht "Tango" - El Tango es una forma de ser!