Wissenschaftlich fundiert: Was ist es? Wie entsteht es? Wobei hilft es? Agiles Mindset – mehr als nur ein Buzzword?

Agiles Mindset – mehr als nur ein Buzzword?

Agilität beginnt im Kopf: Erfahren Sie auf wissenschaftlicher Basis, was ein agiles Mindset ausmacht, warum es Leistung und Gesundheit stärkt und wie Teams und Führungskräfte es mit passenden Rahmenbedingungen nachhaltig entwickeln.

Management Summary

Wissenschaftlich fundiert: Was ist es? Wie entsteht es? Wobei hilft es? Agiles Mindset – mehr als nur ein Buzzword?

Agiles Mindset – mehr als nur ein Buzzword?

Agilität beginnt im Kopf: Erfahren Sie auf wissenschaftlicher Basis, was ein agiles Mindset ausmacht, warum es Leistung und Gesundheit stärkt und wie Teams und Führungskräfte es mit passenden Rahmenbedingungen nachhaltig entwickeln.

Management Summary

Das Team arbeitet seit über einem Jahr nach Scrum, die Abläufe scheinen sauber implementiert. Und doch hakt es: Entscheidungen dauern, die Eigenverantwortung ist begrenzt, und die Dailys fühlen sich eher wie Statusrunden an. Mutig wird nach mehr "agilem Mindset" gerufen und Teammitglieder erhalten Mindset Trainings und Workshops. Ein Teil der Belegschaft ist begeistert, doch ein größerer Teil zieht sich mehr und mehr zurück: "Wir haben agile Prozesse, agile Tools und agile Rollen – aber irgendwie ticken wir noch wie früher", fasst eine Führungskraft eines internationalen Tech-Unternehmens die Situation zusammen.

Viele Teams und Führungskräfte erleben solche Situationen ähnlich. Trotz methodischer Veränderungen bleibt der kulturelle Wandel aus. Die Oberfläche wirkt agil, doch darunter bestehen gewohnte Denkmuster weiter: Sicherheit vor Experiment, Kontrolle vor Vertrauen, Vorgabe vor Selbststeuerung. Die Entwicklung eines agilen Mindsets erscheint als die Lösung. Doch das Thema polarisiert: Für die einen ist es unverzichtbar, für die anderen überbewertet. Ist es mehr als eine leere Worthülse?

Auffallend ist, dass das agile Mindset häufig als Begründung für gescheiterte Transformationen herangezogen wird – und es in der Regel den anderen fehlt und nicht einem selbst. Dies könnten Indizien für kognitive Verzerrungen sein, derer wir uns in unserem Alltag regelmäßig bedienen: sogenannte Attributionsfehler (siehe Kasten).

Attributionsfehler

Beim Interpretieren des Verhaltens einer Person überschätzen wir meist die Persönlichkeit und unterschätzen die Umstände. So wird mangelnde Beteiligung an einer agilen Transformation schnell dem "fehlenden Mindset" zugeschrieben statt den Rahmenbedingungen. Dies ist ein fundamentaler Attributionsfehler. Bei negativen Ereignissen kommt hinzu, dass wir Ursachen eher bei anderen als bei uns selbst suchen. Vor diesem Hintergrund wirkt das "agile Mindset" wie eine Nebelkerze: Es ermöglicht, schwierige Situationen abzutun und Verantwortung abzuschieben, indem es eine einfache Erklärung für komplexe Dynamiken bietet.

Neue Studien zeigen, dass es ein gemeinsames Grundverständnis darüber gibt, welche Merkmale ein agiles Mindset auszeichnen und wie es sich gezielt entwickeln lässt (z.B. Augner & Schermuly, 2024; Eilers et al., 2022). Dieser Artikel gibt wissenschaftlich fundierte Orientierung zu den folgenden zentralen Fragen rund um das agile Mindset und richtet sich an alle Rollen im agilen Kontext, wie z.B. Scrum Master, Agile Coaches, Führungskräfte oder Teammitglieder.

  • Was ist das agile Mindset überhaupt?
  • Warum kann es für Unternehmen so wichtig sein?
  • Lässt sich ein agiles Mindset entwickeln – oder hat man es einfach (nicht)?
  • Wie lässt sich die Entwicklung konkret unterstützen?

Was ist das agile Mindset überhaupt?

Der Begriff "agiles Mindset" ist in Organisationen oft präsent, aber selten eindeutig definiert. Je nach Kontext reicht er von den Werten des Agilen Manifests bis zum Growth Mindset nach Dweck (2016). In der Praxis steht er oft für eine Haltung, Kultur oder Verhaltensweise, die als "veränderungsbereit" oder "kollaborativ" gilt.

Auch in der Wissenschaft gibt es unterschiedliche Sichtweisen – sowohl in Bezug auf die theoretischen Grundlagen als auch die Vorgehensweisen für die Definition, die je nach Fachrichtung, wie Informatik, Psychologie oder Organisationsforschung, variieren. Die Studie von Eilers et al. (2022) schafft hier einen Überblick, indem sie Definitionen aus Praxis und Forschung mit Experteninterviews verbindet, um ein klar verständliches und praxisorientiertes Bild des agilen Mindsets aufzuzeigen.

Die vier Kerndimensionen

Das Ergebnis zeigt, dass ein agiles Mindset die Einstellung von Menschen gegenüber bestimmten Verhaltensweisen ausdrückt, die sich besonders in komplexen und dynamischen Arbeitsumgebungen als hilfreich erwiesen haben. Als stabilen Kern des agilen Mindsets – unabhängig von Branche, Rolle oder Methode – identifiziert die Studie folgende vier Dimensionen (Bild 1):

  1. Lernbereitschaft ("Learning Spirit") beschreibt die positive Einstellung hinsichtlich der Offenheit, neue Erfahrungen zu sammeln und sich stetig weiterzuentwickeln.
  2. Kollaborativer Austausch ("Collaborative Exchange") steht für die positive Einstellung hinsichtlich aktiver Zusammenarbeit, den offenen Wissensaustausch und das Geben von Feedback im Team.
  3. Selbstorganisation ("Empowered Self-Guidance") ist die positive Einstellung dazu, den eigenen Arbeitsprozess zu steuern, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen.
  4. Kunden-Co-Kreation ("Customer Co-Creation") ist die positive Einstellung dazu, den Kundennutzen konsequent in den Mittelpunkt zu stellen und Kund:innen frühzeitig in Entwicklungsprozesse einzubinden.
Infografik mit vier farblich getrennten Feldern zu positiven Arbeitseinstellungen: Lernorientierung (grün), kollaborativer Austausch (dunkelgrün), Kunden-Ko-Kreation (hellgrau) und Selbstorganisation (grau). Pfeilartige Struktur zeigt gegenseitige Abhängigkeit.
Bild 1: Die vier Dimensionen des agilen Mindsets (nach Eilers et al., 2022)

Ein Messinstrument für das agile Mindset

Ein hilfreicher Ansatz für die Praxis ist das von Eilers et al. (2022) entwickelte Messinstrument mit den vier Kerndimensionen und 20 Aussagen zum agilen Mindset. Es ermöglicht Teams, Führungskräften und Agile Coaches, das eigene agile Mindset greifbar zu machen, eine gemeinsame Sprache zu schaffen und Entwicklungsfelder zu reflektieren. Auf das Messinstrument kann in der folgenden Quelle frei zugegriffen werden: Eilers et al. (2022).

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