Progressive Acquisition
Progressive Acquisition
Gründe für Progressive Akquisition (PA)
Probleme mit der Akquisition von komplexen IT-Systemen
Wir bezeichnen Akquisition in diesem Zusammenhang als einen Prozess, um ein System, ein Software-Produkt oder eine Software-Dienstleistung zu erwerben. Ausserdem umfasst sie alle Aktivitäten, die vom Auftraggeber bzw. Erwerber während des gesamten Lebenszyklus des Systems oder der Dienstleistung unternommen werden müssen.
Die Akquisition von komplexen IT-Systemen gibt seit langem Anlaß zu Überlegungen. Es gibt genügend Beispiele aus der Vergangenheit, in denen Systeme mit Hilfe des klassischen "Big-Bang"-Modells (auch "Grand Design" oder "One-shot" genannt) abgewickelt wurden. Diese Systeme wurden häufig zu spät ausgeliefert, erfüllten in vielen Fällen bei Auslieferung nicht mehr die Anwenderforderungen und überschritten die anfänglich kalkulierten Kosten mitunter erheblich.
Das "Big-Bang"-Modell ist ein Akquisitionsmodell, in dem die verschiedenen Schritte, die während eines Projekts durchgeführt werden müssen, in einer streng sequentiellen Weise (Phasen) abgewickelt werden. Diese Schritte, ihre Reihenfolge und die entsprechenden Ein- und Ausgangsinformationen werden in der Regel durch Anweisungen definiert, welche die verschiedenen Ebenen des gesamten Akquisitionsprozesses steuern.
Solche Anweisungen definieren normalerweise den übergeordneten Prozess für die Durchführung eines Projekts: Durchführbarkeitsuntersuchung, Definition, Entwicklung, Produktion und die Unterstützung im laufenden Betrieb und ggf. einige seiner Teilprozesse (z.B. Software-Entwicklung) durchgängig im Rahmen eines sequentiellen Ansatzes.
Die Art und Weise, wie viele IT-Projekte in der Vergangenheit geplant und realisiert wurden, führte dazu, dass viel Aufwand und Zeit in den sequentiellen Vorgang zur Darstellung des Bedarfs und dessen Verfeinerung zu Anforderungen gesteckt wurde. Das war die Ursache dafür, dass häufig Systeme erst an die Benutzer ausgeliefert wurden, nachdem bereits viele Jahre seit der Erfassung der Anforderungen vergangen waren. Was war die Konsequenz? Das ausgelieferte System entsprach nicht mehr den aktuellen Anforderungen, und war möglicherweise auf einer veralteten Technologie aufgebaut.
Wenn Sie bei der Akquisition eines IT-Systems das "Big-Bang"-Modell anwenden, treten im allgemeinen folgende Probleme auf:
- Schwierigkeiten beim Beschreiben der Anwenderforderungen
Diese sind meist nicht stabil und/oder zu ehrgeizig formuliert. Es ist in der Regel nicht möglich, vor dem Beginn der Entwicklung die operationalen und funktionalen Eigenschaften des gesamten Systems im Detail zu definieren. Zudem können sich die Anwenderforderungen im Laufe der Zeit stark ändern. Oft denken auch Software-Entwickler nur daran, was technisch realisierbar ist, verzetteln sich in der Entwicklung von technischen Superlösungen, anstatt Kundenbedürfnisse zu erkennen und zu berücksichtigen. - Alterung der eingesetzten Technologie
Der Lebenszyklus einer Akquisition umfasst oft eine große Zeitspanne, in der unter Berücksichtigung des Entwicklungsfortschritts der Technologie mehrere technologische Entwicklungsschübe auftreten können. - Komplexität der Systeme
Oft wird die Komplexität des zu entwickelnden Systems unterschätzt. Je strenger die Sicherheitsanforderungen, z.B. bei sensitiven Daten, oder je umfangreicher die Interaktion mit anderen Systemkomponenten ist, desto komplexer wird die zu entwickelnde SoftwareApplikation. Werden nicht gleich zu Beginn diese Anforderungen in dem Software-Engineering-Prozess berücksichtigt, schleichen sich Designfehler ein, die unter Umständen nur schwer zu beheben sind.
Definitionen von inkrementeller und evolutionärer Akquisition (IA/EA)
Aufgrund der Probleme, die sich häufig bei der Akquisition von großen IT--Projekten ergaben, ist das Interesse an inkrementellen und evolutionären Ansätzen als Mittel zur Reduzierung der Risiken in den letzten Jahren stark gestiegen. In der Literatur findet man jedoch eine Fülle verwirrender Terminologien aufgrund der Überstrapazierung der Begriffe "inkrementell" und "evolutionär".
Divergierende Anwendungen beider Begriffe sind in vielen Quellen zu finden, wie z.B.:
- im ISO/IEC 12207
- im Projekt "Euromethod" der EU
- bei verschiedene NATO--Gruppen wie NIAG (NATO Industrial Advisory Group) oder DRG (Defense Research Group)
- im MIL-STD-498 oder ANSI/IEEE--Glossar für Software--Engineering in den USA
Eine Bewertung der Definitionen in diesen Quellen führt zu den Schlußfolgerungen, dass die Begriffe "inkrementell" und "evolutionär" zwei Dimensionen bei der Akquisition eines Systems beschreiben:
- "inkrementell" bezieht sich hauptsächlich auf die stufenweise Entwicklung und Auslieferung eines Systems, in dem eine festgelegte Menge von Anforderungen realisiert wird,
- "evolutionär" bezieht sich auf die uneingeschränkte Fortentwicklung (Evolution) von Anforderungen, die durch "unbegrenzt" aufeinanderfolgende Versionen des Systems, mit ggf. modifizierten oder neuen Eigenschaften, realisiert werden.
Manchmal wird der Ausdruck "evolutionäre Akquisition" verwendet, um eine Kategorie von Akquisitionsmodellen zu beschreiben, die Eigenschaften beider obiger Dimensionen kombiniert.