Erst die PM-Kompetenz - dann die Software Mit Standard-Software die Einführung komplexer IT-Systeme vorbereiten
Erst die PM-Kompetenz - dann die Software Mit Standard-Software die Einführung komplexer IT-Systeme vorbereiten
Die Produktentwicklung in Branchen wie der Automobilindustrie wird immer komplexer - eine Tendenz, die viele Firmen vor große Herausforderungen stellt. Oft versuchen sie die Komplexität zu meistern, indem sie Produktentwicklungssoftware oder -systeme implementieren. Doch diese Maßnahmen sind leider nicht immer mit dem gewünschten Erfolg gekrönt. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass die Unternehmen ihre Organisation nicht auf das Kompetenzniveau gebracht haben, das für eine erfolgreiche Implementierung notwendig wäre. Die Mitarbeiter sind mit dem System deshalb überfordert.
Die Erfolgsaussichten sind besser, wenn das Unternehmen vorab die relevanten Prozesse, Methoden und Tools definiert und etabliert, und die Mitarbeiter mit den neuen Anforderungen und Abläufen vertraut macht. In den vorgelagerten Prozessen sollte Standard-Software wie z.B. Microsoft Office eingesetzt werden, da diese Programme bei den Mitarbeitern in der Regel eine hohe Akzeptanz genießen. Im zweiten Schritt können die optimierten Prozesse und Methoden in einem integrierten IT-System abgebildet werden. Für diese Einführung ist es jedoch wichtig, dass das gesamte System global, d.h. ganzheitlich und unter Berücksichtigung aller relevanten Einflussgrößen geplant und in kleinen Schritten umgesetzt wird.
Der Erfolg dieses Change-Management-Prozesses - von der Vorbereitung der Organisation bis hin zum Abschluss der Implementierung - hängt vom Commitment und dem "langen Atem" des Managements ab.
Der Markt verlangt hochintegrierte IT-Systeme
In der Automobilindustrie vergeben die Automobilhersteller und großen Lieferanten an die Dienstleister und Zulieferindustrie immer komplexere Systeme - zusammen mit der vollen Entwicklungsverantwortung. Gleichzeitig werden die Märkte dynamischer und globaler. Anhand einiger Schlagworte sollen die hieraus resultierenden Anforderungen etwas näher erläutet werden:
- Risk-Sharing: Die Kunden binden die Zulieferindustrie vollumfänglich in die Produkthaftung bis zum Endkunden ein (z.B. bei Rückrufaktionen). Um hinreichend gegen Regressforderungen gewappnet zu sein, ist es notwendig, alle in der Entwicklung durchgeführten Absicherungsmaßnahmen lückenlos zu dokumentieren (z.B. Protokollierung der Produktionsabläufe, Qualitätsprüfungsergebnisse usw.). Ohne eine integrierte IT-Unterstützung kann das nicht gewährleistet werden.
- Systemintegration: Dieser Begriff bezeichnet die parallele und eng verzahnte Entwicklung von immer mehr Funktionen in kurzer Zeit. Entwicklungen werden interdisziplinärer und komplexer, immer mehr interne und externe Experten müssen in die Projekte eingebunden werden. Alle Beteiligten sind permanent über aktuelle Entwicklungsfortschritte und Änderungen zu informieren und benötigen jederzeit Zugriff auf die aktuellen Informationen wie z.B. Konstruktionsstände. Auch hier kann der Datenfluss, die Entwicklungssteuerung und die damit verbundene Dokumentation nur durch adäquate IT-Systeme gewährleistet werden.
- Globalisierung: Über Unternehmens- und Ländergrenzen hinweg entstehen immer mehr interkulturelle und virtuelle Organisationsstrukturen und -netzwerke. Der hierfür erforderliche Datentransfer sowie die Datenverwaltung und Dokumentation können nur mit IT-Systemen bewältigt werden.
- Stakeholder Value: An die Unternehmen wird die Forderung gestellt, bessere Renditen zu erzielen. Dem versucht das Management nachzukommen, indem es Synergien generiert, Prozesse optimiert und so die Effizienz steigert, Abläufe beschleunigt oder Routinearbeiten automatisiert. All dies lässt sich ohne den intensiven Einsatz von IT-Systemen jedoch nicht erreichen.
Die Software-Hersteller werben damit, dass sich mit modernen IT-Systemen die komplette Wertschöpfungskette eines Unternehmens in einem integrierten Gesamtsystem abbilden lässt: vom "Einstempeln der Mitarbeiter" bis zur letzten verkauften "After-Sales-Schraube", vom "Ersten Design-Strich" bis zur fertigen "Produktionsanlage". Weiterhin wird in Aussicht gestellt, dass nach der Einführung dieser Systeme verlässlichere Aussagen zu Themen wie Geschäftsabläufen oder Rentabilitäten möglich sind - und somit auch schnellere und "richtigere" Management-Entscheidungen.
Solche Aussagen verleiten das Management oft dazu, komplexe IT-Systeme zu implementieren, um alle Herausforderungen auf einen Schlag zu lösen. Die Devise lautet dann: Je schneller desto besser! Das Management traut sich den Big-Bang zu. Es möchte die komplexen IT-Systeme rasch einsetzen, da es davon ausgeht, dass sich die erhofften Benefits so am schnellsten realisieren lassen. Außerdem hofft es, dass die Software möglicherweise vorhandene Kompetenzdefizite der Organisation kompensiert (Bild 1). Die Organisation kann aber häufig nicht schnell genug auf diesen Wandel reagieren. Die Implementierung scheitert.
An Mitarbeiter werden höhere Anforderungen gestellt
Wenn hier von "Kompetenzdefiziten" die Rede ist, soll das nicht als Kritik an den Mitarbeitern missverstanden werden. Gemeint ist vielmehr, dass die Organisation noch nicht entsprechend den Marktanforderungen qualifiziert worden ist.
Um diesen Gedanken besser zu verstehen, ist es hilfreich, die letzten Jahre Revue passieren lassen: In der Automobilindustrie z.B. hat sich der Markt der Entwicklungsdienstleister in den letzten 20 bis 25 Jahren dramatisch verändert: Wurde früher auf Anweisung gearbeitet ("verlängerte Werkbank"), arbeiten die Entwickler heute eigenverantwortlich an komplexen Modulen und können für Entwicklungsfehler und Folgekosten voll haftbar gemacht werden.