

Ad hoc, bereichsübergreifend und quer zur Hierarchie: Als flexible und schnelle Form der Zusammenarbeit erlaubt Kollaboration, komplexe Fragestellungen mit hoher Geschwindigkeit zu lösen. Warum sich Führungskräfte und Mitarbeiter in der heutigen VUCA-Welt mit neuen Formen der Zusammenarbeit beschäftigen müssen und welchen Nutzen sie davon haben, zeigt Dr. Susanne Ehmer anhand von Praxisbeispielen, Tipps sowie Übungen für den eigenen Weg zur Kollaboration.
Ad hoc, bereichsübergreifend und quer zur Hierarchie: Als flexible und schnelle Form der Zusammenarbeit erlaubt Kollaboration, komplexe Fragestellungen mit hoher Geschwindigkeit zu lösen. Warum sich Führungskräfte und Mitarbeiter in der heutigen VUCA-Welt mit neuen Formen der Zusammenarbeit beschäftigen müssen und welchen Nutzen sie davon haben, zeigt Dr. Susanne Ehmer anhand von Praxisbeispielen, Tipps sowie Übungen für den eigenen Weg zur Kollaboration.
Märkte und Bedürfnisse verändern sich, Technologien sind leichter zugänglich und nutzbar, mindestens drei sehr unterschiedliche Generationen gestalten aktiv Gesellschaft und Organisationen. Auf all das müssen Organisationen eingehen, um die Kunden-Wünsche frühzeitig erkennen und schnell und treffsicher beantworten zu können. Allein mit dieser kurzen Aufzählung werfen wir bereits einen Blick mitten hinein in die Welt von VUCA – von Volatilität, Ungewissheit, C(K)omplexität und Ambiguität (siehe auch Ehmer et al.; 2016).
Zusammenarbeit in Form von Kollaboration (siehe Kasten) ist eine Antwort auf diese Herausforderungen. Natürlich wird in Unternehmen schon immer zusammengearbeitet – jedoch meist nur im eigenen Bereich und mit seriell verknüpften Arbeitsschritten. Schließlich ist es für Organisationen charakteristisch, Aufgaben zu formalisieren, zu regeln, zu reglementieren – und damit allen Akteuren Entlastung und Orientierung zu geben. Denn so weiß jeder, worum er sich kümmern muss und worum nicht.
Wenn man jedoch mit Überraschungen rechnen muss – und in der Welt von VUCA muss man das –, sind starre Regelungen und Definitionen nicht mehr hilfreich. Dann werden neue Denkmodelle benötigt, die Zusammenarbeit jenseits der klassischen Hierarchie und dem abgrenzenden Bereichsdenken ermöglichen. Diese Modelle helfen dabei, das komplexe soziale System der Organisation zu lenken und zielgerichtet zu beeinflussen, um weiterhin Mehrwert stiften zu können.
Dieser Artikel zeigt, weshalb sich Führungskräfte und Mitarbeitende mit neuen Formen der Zusammenarbeit beschäftigen müssen, worin der Nutzen liegt und wie Kollaboration ganz praktisch funktionieren kann. Dazu liefert der Beitrag Denkanstöße, Praxisbeispiele, Tipps sowie Übungen für den eigenen Weg zur Kollaboration.
Kollaboration
"Kollaboration" (lat.: collaborare, engl.: collaboration) beschreibt den Aspekt des miteinander Tuns, der aktiven Zusammenarbeit an einem gemeinsamen Projekt bzw. einer gemeinsamen zu lösenden Aufgabe ohne streng definierte Systemgrenzen.
Wann ist Kollaboration notwendig?
Als eher fraktale, d.h. mehrdimensionale Form der Zusammenarbeit mit offenen bzw. vorab nicht streng definierten Systemgrenzen, unterscheidet sich Kollaboration deutlich von Kooperation (bzw. Projektarchitektur oder Matrixstruktur). Bei letzterer wird die vereinbarte Gesamtaufgabe in unterschiedliche Teilaufgaben gegliedert, für die jeweils verschiedene Personen oder Teams verantwortlich sind. Bedingt durch die Arbeitsteilung, verfolgen diese jeweils verschiedene Teilziele. Die Kooperationspartner müssen dabei weder am selben Ort sitzen, noch müssen sie sich kennen.
Kollaboration ist dagegen eine synchrone Arbeit an einem Thema. Auf diese Weise lassen sich komplexe Fragestellungen, die kein "Nacheinander" und kein "Nebeneinander" erlauben, mit hoher Geschwindigkeit lösen – auch bei Unterschieden und Widersprüchen. Diese Intensität kann Kooperation i.d.R. nicht bieten. Kollaboration konstituiert sich ad hoc, interessensgeleitet, vorübergehend, selbstorganisiert, selbstverantwortlich, quer zur Hierarchie oder zu Prozessen – in jedem Fall jedoch bezogen auf die gemeinsame Wertschöpfung. Diese mehrdimensionale Form (interdisziplinär, hierarchie- und bereichsübergreifend, bedarfsbezogen, in jeweils passender Zusammensetzung und Arbeitsform) ermöglicht ein hohes Maß an inhaltlicher, zeitlicher und personeller Flexibilität. Keine langwierige Projektplanung mit zeitaufwendigen Genehmigungsverfahren, sondern ein beinahe sofortiges Starten der inhaltlichen Arbeit!
Im Beispielunternehmen war die Produktion traditionell entlang der Materialschmelze, des Formgusses, der Abkühlung und Kontrolle bis hin zur Verpackung strikt getrennt in die Bereiche "Heiß" und "Kalt". Man wusste um die Existenz des jeweils anderen Bereichs, hatte jedoch wenig Einblick, was genau dort passierte, was die spezifischen Anforderungen waren und welche Punkte heikel waren – wo also jeweils die Knackpunkte lagen. Selbst die Fachbegriffe waren nicht durchgehend bekannt.
Aufgrund fehlerhafter Margen geriet die Schnittstelle zwischen beiden Bereichen – der Übergang zwischen "Heiß" und "Kalt" – zunehmend in den Fokus: Was genau geschieht dort? Wie stehen die Mitarbeiter im Austausch über die vorangegangene Produktion und die Anforderungen im weiteren Verlauf? Wie passt alles zusammen?
Nach eingehender Analyse war klar: Die "kommunikative" Trennung der beiden Bereiche muss aufgehoben werden. Bereits zu Beginn im Bereich der Materialschmelze müssen die Mitarbeiter wissen, worauf es am Ende bei der Verpackung ankommt – und umgekehrt. Mit anderen Worten: Die Schnitt-Stelle zwischen "Heiß" und "Kalt" muss zu einer Naht-Stelle werden, mit der Haltung des "gemeinsamen Herstellens vom Anfang bis zum Ende" und entsprechendem "kollaborierendem" Verhalten.
Zunächst wurden dazu die beiden Einheiten strukturell zusammengeführt:
Jetzt könnte man erschreckt fragen: Teilnehmer beider Produktionsbereiche bei allen Meetings? Wann wird dann überhaupt noch gearbeitet?
Folgende kollaborativen Elemente verhinderten, dass der Zeitaufwand aus dem Ruder lief:
Zu guter Letzt muss man berücksichtigen, dass es sich auch bei der Beteiligung an Besprechungen um "Arbeit" handelt. Komplexe Zusammenhänge lassen sich nur dann bewerkstelligen, wenn man kommuniziert, aktuelle Informationen austauscht, Themen gemeinsam einschätzt und Entscheidungen nachvollziehbar trifft. Dies war eine wesentliche und für viele neue Erkenntnis.
Blick in die Praxis – Fragen, die Sie im Vorfeld einer Kollaboration beantworten sollten:
Die Logik der Heterarchie als ein System von gleichberechtigten Elementen (griechisch; heteros = der Andere und archein = herrschen) erlaubt es, komplexe Aufgaben sowohl hierarchieübergreifend, als auch horizontal auf einer hierarchischen Ebene zu erledigen. Gegenüber rein hierarchisch strukturierten Systemen bedeutet das deutlich mehr Flexibilität.
Um heterarchische Arbeitsformen wie Kollaboration in hierarchisch organisierten Unternehmen zuzulassen, muss man nicht die hierarchisch aufgebaute Organisationsform auf den Kopf stellen. Stattdessen kann man heterarchische Elemente mit Hilfe entsprechender Steuerungselemente in die Hierarchie "einbauen". Solche Steuerungselemente sind:
Nach der Zusammenlegung mehrerer Finance-Service-Bereiche eines Konzerns schlugen alle Wellen hoch: Die verschiedenen Kulturen prallten aufeinander, die gewohnte Verortung – sowohl geografisch als auch auf den Einfluss und die Expertise bezogen – war dahin, Karrierewege verschoben sich, usw. Der CEO des nunmehr neuen Shared-Service-Centers entschied sich, trotz und wegen dieser "Turbulenzen" einen bewusst anderen Weg zu gehen und verstärkt auf Prinzipien der Kollaboration zu setzen. Nicht die hierarchischen Positionen sollten bei Teamzusammensetzungen, inhaltlichen Schwerpunktsetzungen und strukturellen Änderungen ausschlaggebend sein, sondern primär der Blick auf sinnvolle, inhaltliche und kundenorientierte Entwicklung des Bereiches. Mit anderen Worten: man wollte von Positionen zu Rollen kommen und die Tätigkeiten von sinnhaft erforderlichen Schritten ableiten. Der CEO legte seinen Fokus dabei auf folgende Elemente:
Die hohe Transparenz, eine klare und konsequente Verantwortlichkeit der Beteiligten für jeweils klar definierte Aufgaben bzw. Themen sowie die Aufforderung, Themen offen anzusprechen, trugen wesentlich dazu bei, dass die Projektteams einerseits sehr autonom arbeiteten (der Geschäftsführer wollte z.B. keine Meeting-Protokolle sehen) und sich andererseits hoch vernetzt abstimmten. Das hätten sich die Beteiligten aufgrund der anfänglichen Missstimmungen, Enttäuschungen, Konkurrenzen u.ä. zu Beginn der Umstrukturierung nicht vorstellen können.
Die heterarchischen Elemente waren dabei fest mit der Unternehmenshierarchie verknüpft: Der CEO war für bestimmte Gesamtergebnisse verantwortlich, die definiert waren und ganz klassisch mit seinen unmittelbaren Mitarbeitenden in den jeweiligen Zielvereinbarungen festgehalten wurden. Ebenso waren Budget und Zeitrahmen markiert. Hier endete faktisch jedoch sein Verantwortungsbereich – und der der darunterliegenden Ebene (die seiner Mitarbeitenden) begann.
Seinen Mitarbeitern stellte der CEO frei, WIE sie die Ziele erreichen sollten. Er vereinbarte stattdessen, wann ihm welche Informationen mitgeteilt oder wann was von ihm erfragt werden sollte. Er vertraute darauf, dass seine Mitarbeiter aktiv auf ihn zukommen, wenn sie der Meinung waren, dass etwas nicht zielführend zu bewerkstelligen sei. Über die Basis und die Merkmale des beiderseitigen Vertrauens hatte man sich verständigt, d.h. man wusste, was man im Blick behalten musste: Wer welche Kompetenzen, Fähigkeiten und Erfahrungen hat, welche Themen regelmäßig besprochen werden, wer mit wem zu welchen Themen auf jeden Fall kommuniziert, wie man mit auftretenden Konflikten umgehen will, mit welchen Konflikten man rechnen kann, wie es gelingt, die vereinbarten Spielregeln einzuhalten, usw.
Heterarchische Arbeitsformen, wie die Kollaboration, fördern die Interdisziplinarität sowie die Bereitschaft, unterschiedliche Sichtweisen und Ziele im Interesse der gemeinsamen Sache zu integrieren. Allerdings erfordert eine solche Zusammenarbeit eine "beziehungsorientierte" Vernetzung auf Basis von Offenheit und Vertrauen, Interesse aneinander, kommunikativer Verständigung sowie der Fähigkeit, sich auf Ungewissheit einzulassen. Kollaboration ist kein Begriffszauber ("Wir sind ja schon immer ein Team"), sondern ein essentieller Paradigmenwechsel der Steuerung. Dieser betrifft sowohl die Personen im Unternehmen, die dann Rollen statt Funktionen innehaben, als auch die Organisation selbst, die eine passende interne Struktur für Kollaboration benötigt.
In kleinen Organisationen ist die internen Struktur meist übersichtlich und es wird in zwei oder drei Teams gearbeitet. Um interdisziplinäre, zusätzliche Perspektiven einbeziehen zu können, müssen hier die Fühler nach außen gestreckt werden: Etwa mittels themenbezogener Kooperation, Joint Ventures, Learning Journeys u.ä.
In größeren Organisationen, mit kurzen oder langen, tiefen oder komplexen Wertschöpfungsketten, muss man sich dagegen fragen, welche Eigenschaften die Organisation braucht, um in der gegenwärtigen und unmittelbar bevorstehenden Situation gut zurechtzukommen (siehe Konzept der "Organisation N.N." in Ehmer et al.).
Will die Organisation nah am Kunden agieren, beweglich und schnell reagieren und vorhandene Erfahrungen und Stärken spezifisch nutzen, kann sie kleine parallele Teams installieren. Die Aufgaben werden so aufgeteilt, dass jedes Team sehr selbstständig arbeiten kann und sich dabei wenig mit anderen Teams koordinieren muss. Möglich ist dies bei kurzen Wertschöpfungsprozessen, wie sie z.B. für bestimmten Dienstleistungen, im Einzelhandel, bei speziellen Produkten oder im Gesundheitswesen typisch sind.
Wie eine passende Struktur für Kollaboration bei kurzer Wertschöpfungskette aussehen kann, zeigt das Beispiel eines großen innerstädtischen Friseursalons. Dort sind die rund 15 Frisiersessel nicht mehr so stark ausgelastet wie gewohnt. Das Inhaberpaar entscheidet sich im Rahmen eines Strategie-Kurzworkshops mit allen Mitarbeitern einen Ideen-Kurzworkshop durchzuführen. Bei diesem entsteht u.a. die Idee, dass kleine Teams (2-3 Personen) anhand ihrer Hauptklientel und ihrer persönlichen Leidenschaften selbstorganisiert in den nächsten vier Wochen strategische Themen zur Umsetzung bringen. Der Zeitrahmen ist gesetzt, jedes Team erhält ein Budget von 200 Euro (z.B. für Material, um Prototypen zu entwerfen, oder für die Bahn-Tickets zu einem für ihre Idee interessanten Friseur). Das WIE ist jedem Team selbst überlassen.
Zwei Beispiele der entstandenen Fokusteams: Zwei Kollegen nehmen die männlichen Kunden in den Blick, die regelmäßig in kurzen Abständen kommen und quasi nur den Bart gestutzt haben wollen. Was wollen sie möglicherweise noch? Eine Auszubildende und eine "langgediente" Friseurmeisterin widmen sich dem Thema, was junge Menschen von einem Friseursalon erwarten und was sie daher hier verändern wollen.
Inzwischen macht einer der beiden Herren-Friseure Farbberatung speziell für männliche Kunden. Für die jüngere Kundschaft gibt es zweimal im Jahr eine Open-End-Saturday-Party: Ab 16 Uhr werden bei Musik und freien Getränken gemeinsam Frisuren ausprobiert, Haare geschnitten, auch mal wechselseitig Haare gewaschen, Feedback bei Frisurfragen gegeben. Der Salon verzeichnet bereits nach einem Jahr einen deutlichen Zuwachs an junger Kundschaft.
In längeren oder tieferen Wertschöpfungsketten, in denen eine größere Anzahl von Mitarbeitern zumeist komplexe Aufgaben zu erfüllen hat, bieten sich eher vernetzte oder verschachtelte Modelle an. Mitarbeiter treffen individuelle Vereinbarungen, die es ermöglichen, ad hoc mit den vor- und nachgelagerten Kolleginnen bzw. Teams klare Absprachen zu treffen. Auch in diesem Fall agieren die einzelnen Akteure sehr selbstständig (Laloux, 2015).
Die Führungskräfte schaffen die dafür erforderlichen Rahmenbedingungen und klären mit den Teams, was diese benötigen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. So werden z.B. gemeinsame Spielregeln erstellt, inklusive definierter Konsequenzen bei Nichtbeachtung. Oder die Führungskraft organisiert, ganz praktisch, für die "Nahtstellen-Meetings" einen Raum, der näher am Ort des Produktionsgeschehen liegt und damit schneller erreichbar und für alle besser sichtbar (und damit unmittelbarer verfügbar) ist als der jetzige. Das Team hat somit die geeignete Umgebung, um selbstverantwortlich die definierten Aufgaben zu erfüllen. Fehlt oder verändert sich etwas, sorgt das Team proaktiv für ein Gespräch mit der Führungskraft.
Blick in die Praxis – Eine geeignete Struktur finden
Stellen Sie – die Beteiligten bzw. die wahrscheinlich sinnvollerweise Beteiligten – sich folgende Fragen, um eine geeignete Struktur für Ihre Kollaboration zu finden. Visualisieren Sie gemeinsam Ihre Antworten und tauschen Sie sich über Ihre Gedanken und Ideen dazu aus.
Es liegt in Ihrer Verantwortung als Führungskraft, diesen Blickwinkel und diese Themen ins Team zu bringen – sofern ein solches Vorgehen überhaupt erwünscht ist. Dazu ist es wichtig, dass Sie ihre Führungsrolle ernst nehmen und sich entsprechend aus dem operativen Tagesgeschäft herausziehen. Andernfalls ist es schwierig für Sie, die notwendige Zeit für diese Themen zu finden.
Die Kraft wird aus dem wechselseitigen Miteinander geschöpft, aus der gemeinsamen Verbundenheit, ohne zu unterwerfen und ohne unterworfen zu werden. (Quelle: redmond consulting cluster)
Die Erfahrung aus dem agilen Projektmanagement – einer klar strukturierten Form des Kollaborierens – lehrt uns, dass die zu lösende Aufgabe nicht vorab arbeitsteilig, funktional gesplittet wird (z.B.: "Du übernimmst dieses, und du machst jenes, ..."), sondern die notwendige Aufgaben-, Rollen- und Ressourcenverteilung gemeinsam geplant und vereinbart wird. Basis ist ein gemeinsam entwickeltes Verständnis und ein gemeinsames Ziel. Die Planung wird dabei stets den individuellen Fähigkeiten und jeweiligen Erfordernissen angepasst. Jeder trägt somit gleichberechtigt zur Gesamtaufgabe bei. Rechte, Pflichten und Aufgaben der einzelnen Akteure ergeben sich dynamisch aus dem Arbeitsprozess heraus, der nicht räumlich und zeitlich gebunden ist – denn Rollen und Akteure sind nur temporär miteinander verbunden.
Die hierarchischen Funktionen der Einzelnen werden dabei nicht aufgehoben, aber bezogen auf die themenorientierte Kollaboration an der Garderobe "geparkt". Manche Führungskraft wird das Abgeben von Entscheidungen als Machtverlust erleben und das entsprechend kritisch sehen. Auch das Konzept der Selbststeuerung wird Sinnfragen beim Führungspersonal aufwerfen: Wofür werden sie in der Organisation dann noch gebraucht? Kurzantwort: Um den Rahmen sicherzustellen, der notwendig ist, damit alle die ihnen übertragenen Aufgaben erfüllen können.
Hier wird deutlich, dass Kollaboration bzw. ein gezielt bedarfsbezogenes Agieren erfordert, in kleinen Schritten zu arbeiten, um schnell Ergebnisse zur Verfügung stellen zu können, mit denen alle weiterarbeiten können – und somit ständig gemeinsam an einem unvollständigen "Bild" zu arbeiten. Dies ermöglicht rasche und bei Bedarf frühzeitige Kurskorrekturen.
Blick in die Praxis – Rollen aushandeln
Die Kollegen bestimmen aufgabenbezogen selbst ihre Rollen innerhalb des Teams – als Fach- oder organisatorische Rollen sowie zwischen den Teams als fachliche, organisatorische Unterstützer füreinander, auch zur Konfliktlösung, u.a. Diese Absprachen im Team werden kontinuierlich bedarfsbezogen modifiziert.
Ein Beispiel zum Vorgehen: Teams ...
Praxis-Check
Wenn Sie an Ihre Projekte, Ihre Art der Teamarbeit oder an manche Taskforce denken, worin können Sie erkennen, dass Sie dabei den Weg und die Prinzipien der Kollaboration gewählt haben?
Um Kollaboration als hierarchiearme, aber hoch komplexe Zusammenarbeitsformen zu steuern, sind die herkömmlichen linearen Koordinations-, Kontroll- und Anweisungsmechanismen nicht geeignet. Benötigt werden neue Formen der Führung, bei denen das Fragen, Klären, Verhandeln, Vereinbaren neben die gut eingeübten Muster der Top-Down-Steuerung treten, die trotz Teamverständnisses das Tagesgeschäft bestimmen.
Aus diesem Grund finden sich Führungskräfte und Experten immer häufiger in Management- und Entscheidungssituationen wieder, in denen sie mit dem einen Bein in der Logik der Hierarchie, mit dem anderen in der Logik der Kollaboration stehen. Sie müssen innerhalb der Linie Anweisungen erteilen und "außerhalb der Linie", zwischen Bereichen, Abteilungen, Standorten, etc. als Partner auf Augenhöhe zur Verfügung stehen – am besten gleichzeitig, für alle nachvollziehbar und mit möglichst raschen Ergebnissen.
Ist dieser Spagat überhaupt möglich? Und wenn ja, mit welchen Zugängen und Werkzeugen ist hier ein lösungsorientierter Ausgleich herzustellen? Damit Zusammenarbeit auf Basis von Vertrauen gelingt, ein wirksamer Interessenausgleich stattfindet, effiziente Entscheidungsprozesse sowie die fortlaufende Unterstützung auf der operativen Ebene der Kollaboration greifen, muss Führung zu neuen Perspektiven einladen, neue Themen im täglichen "Führungsgeschäft" bearbeiten.
Ein mittelständisches Unternehmen aus der Branche "Naturbelassene Kosmetik- und Verzehrprodukte" ist nach klassischem Linien-Organigramm strukturiert. Um dem stetigen Wachstum und der hohen innovativen Kraft der Belegschaft gerecht werden zu können, werden sehr bewegliche, flexible, themenbezogene Entwicklungs-, Entscheidungs- und Umsetzungsräume benötigt. Die jeweils Beteiligten organisieren sich daher selbst – situativ, agil und heterarchisch entlang dem gemeinsamen (Teil‑)Ziel.
In der Praxis funktioniert das z.B. so, dass ein Mitarbeiter, der eine Idee hat, diese einbringt. Der Rahmen dafür ist in diesem Unternehmen der monatliche Jour fixe. Kann oder will die Mitarbeiterin nicht so lange warten, organisiert sie sich vorab eine Möglichkeit für den Austausch – über das Intranet, im Rahmen eines anderen Meetings, in der Teeküche. Sobald weitere Mitarbeiter – quer durch Bereiche und Hierarchieebenen – auf diese Idee aufspringen, geht es los: Entwickeln, andere Experten im Haus konsultieren, Machbarkeit errechnen, dem Geschäftsführungskreis vorstellen – und bei einem grundlegenden "Ja" in die Produktion gehen.
Für Ideenentwicklung und -reifung steht jedem Mitarbeitenden generell ein Budget zur Verfügung. Es bedarf nur mindestens einer weiteren Person, die sich für die Idee begeistert und aktiv wird.
Neue Formen der Führung – Erfahrungen aus der Praxis
Führungskräfte, die beginnen, neue Formen der Führung zu entwickeln, müssen ihre Ideen in der Praxis erproben. Dabei können sie freud- wie leidvolle Erfahrungen sammeln. Hier einige Aussagen von Führungskräften aus der Praxis sowie Empfehlungen für Ihre eigene Umsetzung.
"Mit Appellen kamen wir nicht weiter, so kann man keine vertrauensvolle Zusammenarbeit aufbauen. Wir haben lernen müssen, uns permanent über unsere jeweiligen Interessen, Ressourcen und Vorhaben auszutauschen. Schwieriger war es, auch Grenzen, Spannungen und Konflikte anzusprechen. Wir haben jedoch bald gemerkt, dass keinem was passiert!"
Teilen Sie regelmäßig in einer Kurzbesprechung Ihre jeweiligen Einschätzungen zum aktuellen Stand mit und befragen Sie sich wechselseitig, wie es zu diesen Einschätzungen kommt. Der Austausch findet selbstverständlich hierarchieübergreifend statt – statt an der Position orientiert man sich dabei jedoch an den aufgabenbezogenen Rollen.
"Wenn niemand den anderen – im klassischen Sinn – anweisen kann, bekommen die gemeinsamen Werte eine besondere Bedeutung. Wir mussten sie kennenlernen, um sie als Bewertungs- und Handlungskriterien zu nutzen."
Befragen Sie sich wechselseitig: Worauf kommt es für Dich hier an? Was ist für Dich wertvoll?
"In themenbezogenen, selbstorganisierten Projekten gibt es ja keine vorgegebenen Strukturen, sie entstehen jeweils quasi ganz neu. Wir haben dann eine grundlegende Spielregel eingeführt: Ziele, Erwartungen, Verantwortlichkeiten und Rollen werden zu Beginn weitestmöglich geklärt und dann kontinuierlich gecheckt: Passt es noch? Was hat sich verändert? Was braucht es jetzt?"
Probieren Sie es aus!
"Welche Zusammenarbeitskultur, welche Kommunikationsstrukturen und -formen, Spielregeln, Rituale brauchen und wollen wir, was sind unsere neuen "no-go"s?"
Stellen Sie diese Fragen im Team!
"Unser Controlling – von Zahlen und Inhalten – besteht in regelmäßiger Reflexion! Das hat jedes Team "institutionalisiert". Sehr effektiv!"
Bringen Sie Zahlen und Inhalte in Zusammenhang, erst dann ergibt sich eine hilfreiche Aussage aus den "Ziffern".
"Wir haben die Bedeutung des Kantinen- und Kaffeeautomaten-Tratschs verstanden. Wir holen das rein in die Besprechungen. Damit ist uns auch gelungen, die Konflikte anzusprechen, die in dem Nebeneinander von Hierarchie und Selbstorganisation entstehen. Dann können wir die unterschiedlichen "Machtverhältnisse" und Vorgehensweisen nachvollziehen und auf einem anderen Verständnis damit umgehen. Oder es verändern."
Fragen Sie im Team: "Was werdet ihr zu diesem (aktuellen) Thema sagen, wenn ihr nachher beim Kaffee steht?"
Wie die Erfahrungen aus der Praxis zeigen (siehe Kasten "Neue Formen der Führung") muss sich die Führung immer wieder selbst neu definieren sowie verstehen bzw. lernen zu akzeptieren, dass:
Praxis-Check
Wenn Sie mit diesen Überlegungen auf manchen Ärger, manche Irritation oder manches Unverständnis zurückblicken, worin finden Sie neue Erklärungen – die vielleicht weniger mit den Eigenschaften Ihrer (oder einer anderen) Person, sondern mehr mit strukturellen Widersprüchen zu tun haben?
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es für ein erfolgreiches Kollaborieren erforderlich ist, die klassischen hierarchischen Strukturen und Positionen nicht zwangsläufig als einziges Steuerungsinstrumentarium heranzuziehen, sondern – durchaus innerhalb dieser Strukturen – aufgaben- und rollenbezogen in Sinn-vollen Konstellationen interdisziplinär, bereichsübergreifend für eine erforderliche Zeitspanne zusammenzuarbeiten.
Um Kollaboration erfolgreich einzusetzen, hilft es daher, sich die wesentlichen Erfolgsfaktoren bewusst zu machen:
Komplexe Aufgabenstellungen erfordern interdisziplinäre, häufig auch interkulturelle Zusammenarbeit in Task Forces, Joint Ventures, Projekten oder ähnlichem. Damit Klarheit über das gemeinsame Ziel und die Tauglichkeit für die kollaborative Zusammenarbeit entsteht, können Sie folgende Werkzeuge verwenden:
Ein Business Model Canvas® oder Werkzeuge, die davon abgeleitet sind, helfen den Teammitgliedern, Klarheit über das gemeinsame Ziel – die "Herstellung" eines Produkts oder einer Dienstleistung – zu erhalten (siehe auch: "Mit dem Product Canvas den Kundennutzen stets im Blick", Projekt Magazin 16/2016).
Kurze regelmäßige Reflektions-Spots, bei denen die Beteiligten innehalten und reflektieren, helfen dabei, Denkweisen und das Verhalten auf "Tauglichkeit" für die kollaborative Zusammenarbeit zu prüfen. Die zentrale Frage dabei lautet: Wie gehe ich mit meinem gewohnheitsmäßigen Verhalten um, als Experte zu "wissen", was richtig ist? Die Erkenntnis, andere zu brauchen, um die eigene Expertise nutzbringend zur Verfügung zu stellen, ist für Experten und Expertinnen schließlich nicht selbstverständlich. Diese müssen oft erst lernen, andere Experten als Ergänzung und Bereicherung zu sehen und nicht als "Zeugen" der eigenen Grenzen. Auch wenn das verstandesmäßig jedem klar sein mag, weicht die emotionale Reaktion oft davon ab, wie die Praxis zeigt.
Diese "Selbstbeobachtungen" und Reflexionen geschehen sowohl individuell als auch gemeinsam im Team. Individuell sollte man quasi mitlaufend sich selbst beobachten und die eigenen Handlungen, Überlegungen, Annahmen, Schlussfolgerungen etc. reflektieren. Im Team bietet es sich an, beispielsweise im täglichen (morgendlichen) Abgleich eine 10-minütige Reflexionsrunde zu etablieren: "Was läuft gut?", "Womit habe ich/haben wir gerade Schwierigkeiten?", "Womit könnte das zusammenhängen?", "Wie läuft unsere Kommunikation (Austausch zu Stand der Arbeiten)?", "Wie ist diese oder jene Entscheidung zustande gekommen?", usw.
Kollaboration ermöglicht es, gemeinsam etwas zu erreichen, was alleine nicht zu schaffen wäre. Darüber hinaus erfasst sie auch kulturelle, individuelle, soziale und organisatorische Dimensionen auf allen Ebenen im gesamten Prozess.
Die Zusammenarbeit funktioniert dann gut und erzeugt einen Mehrwert, wenn die Beteiligten:
Entsprechendes gilt auch für die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Organisationseinheiten – z.B. zwischen Abteilungen, Projekten, Teams, Hierarchieebenen etc. Auch in diesem Fall ist eine Abstimmung wichtig, damit Klarheit entsteht über Zielsetzung, Ressourcen, Spielregeln, Aufgaben, Rollen, Grenzen der Kollaboration, Erlöse bzw. Nutzenteilung, Verwendung bzw. Verwertung der gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse – und immer wieder über deren Sinn.
Veränderungsbereitschaft ist Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Vernetzung. Denn wer kollaboriert, lässt sich per se auf Veränderung ein – es geht nicht ohne. Dafür ist nicht jeder Einzelne allein verantwortlich, sondern auch die Organisation. Es braucht entsprechende Strukturen, Prozesse, Spielregeln, Rituale. (Womit wir auch wieder beim Thema "Führung" sind.)
Zusammenarbeiten und zusammenwirken bedeutet, dass nichts bleiben wird bzw. kann, wie es war – und dass die Akteurinnen und Akteure nicht bleiben, wer sie sind. Sie lassen Veränderung zu und verändern sich selbst. Jeder Gedanke, jedes Ergebnis der Einzelnen wirkt auf die Anderen und das Gesamte. Die Beteiligten befinden sich in einem gemeinsamen Entwicklungs-/Arbeitsprozess – und gleichzeitig bleibt jede/r Individuum. Ko-Evolution wird in Kollaborationsverhältnissen konkret erlebbar.
Solange der Einzelne mit festen Vorstellungen und "vorgefertigtem, festgelegtem" Wissen in ein Kollaborationsvorhaben geht, versperrt er sich und den anderen den Fokus darauf, im gemeinsamen Engagement etwas zu erreichen, was es in der Weise bzw. mit dem Ergebnis vorher nicht gab.
Jede Kollaboration lebt davon, eine Balance zu finden zwischen dem Bedürfnis von Individuen und Teams nach Autonomie einerseits und nach Verbundenheit und Zugehörigkeit andererseits. Das setzt voraus, dieses Bedürfnis zu (er-)kennen und sich darüber zu verständigen. Eine kleine aber wesentliche Nebenwirkung: Sie entwickeln, vertiefen und stabilisieren Vertrauen! Vertrauen ist keine Einmal-Investition, sondern kontinuierliche Beziehungsarbeit.
Wenn eine Routine entstanden ist, dann läuft diese von selbst weiter – und auch das Gehirn lässt den gewohnten Gang automatisch ablaufen, was auch eine seiner Aufgaben ist! Andererseits liebt es jedoch auch Herausforderungen, Neues, Unbekanntes – etwas, wo es denken, tüfteln, verschalten, experimentieren und damit seiner Aufgabe der Überlebenssicherung nachkommen kann. Das Wort "Gehirn" können Sie getrost durch "Mensch" oder "Ich" ersetzen.
Bieten Sie also sich und dem Team nahrhaftes Futter fürs Gehirn! Schauen Sie darauf, wo Sie Muster und Routinen erkennen und fragen sie sich, wozu diese dienen, was diese sicherstellen sollen und ob diese nach wie vor hilfreich, brauchbar und zielführend sind.
Nachfolgend einige Anregungen, wie Sie sich und das Team für einen Musterwechsel sensibilisieren und erste neue Schritte in eine Kultur der Kollaboration gehen können.
Machen Sie ein Experiment pro Tag, um selbst oder miteinander zu erleben und zu beobachten, wie Sie bzw. Ihr Gehirn darauf reagiert. Bringen Sie sich gedanklich, mental, emotional, körperlich in Bewegung:
Legen Sie ein "Ressourcen-Domino": Schreiben Sie alle im Team vorhandenen Kompetenzen auf Karten und legen Sie diese passend aneinander.
Auswertung: Fragen Sie sich, wie Sie als Team mit den verschiedenen Kompetenzen umgehen, wie Sie die besonderen Kompetenzen in interdisziplinärer Weise wechselseitig aufeinander beziehen können, damit ein größerer Mehrwert entsteht als durch die bloße Addition der einzelnen Beiträge. Worin liegt der gemeinsame Synergieeffekt und wie kommen Sie als Team dorthin?
Improvisieren Sie einen spontanen "Interessens-Basar": Jeder legt seine Interessen dar (bildlich, als Symbol, auf Karten). Preisen Sie die Interessen an, feilschen Sie um die Preise! Sehr schnell erkennen Sie gemeinsam, wo die Konfliktpotentiale liegen.
Auswertung: Fragen Sie sich, wie Sie als Team mit den verschiedenen Interessen umgehen, wie Sie Konflikte zwischen individuellen und gemeinsamen Interessen besprech- und lösbar machen? Wie führen Sie Streit und wie tragen Sie inhaltliche Konflikte aus?
Führen Sie ein tägliches Stimmungsbarometer ein: Gestalten Sie eine Wand mit Skala, jeder heftet täglich seine aktuelle Stimmungs-Notiz an (siehe auch Tipp: "Das Stimmungs-Board für Projektteams", Projekt Magazin 11/2017)
Kurzauswertung: Stellen Sie sich als Team die Frage, wie Sie die jeweils eigenen Emotionen nutzen, die Sie als wichtigen Teil der Zusammenarbeit anerkennen? Denn diese sind Hinweisgeber auf wichtige Themen, wie z.B. Konkurrenz, Grad der Kollaborationsstabilität, Ausdruck von Macht oder Ohnmacht, etc.
Zur Stärkung eine Wertschätzungs-Dusche: Reihum bekommt jedes Teammitglied von anderen ausschließlich positive Rückmeldung zu Eigenschaften, Verhalten, Fähigkeiten.
Auswertung: Genießen, freuen, danken!
Sie stehen bei der Konzeption eines neuen Produkts oder einer neuen Dienstleistung vor einer aktuellen Aufgabe und stellen sich die Frage: Was wird gebraucht? Wie kann es gehen? Wie können wir die Aufgabe lösen? ... Normalerweise würden Sie in diesem Fall ein Meeting einberufen – und wären mit üblichen Terminschwierigkeiten, Zeitdruck und Arbeitsfülle der Mitarbeiter konfrontiert.
Probieren Sie stattdessen folgendes aus:
Diese Persona ist Repräsentant der Zielgruppe. Sie vereint somit unterschiedliche Charakteristika und bringt Sie damit auf Ideen, was gebraucht wird, worauf das Produkt oder die Dienstleistung Antworten geben muss.
Hartmut Goetze
29.06.2017
s.ehmer
04.07.2017