Sozialkompetenz – Lückenbüßer für professionelles Projektmanagement?

Es gibt viele Gründe, warum Projekte scheitern. Projektziele, Rollen und Verantwortlichkeiten sind nicht eindeutig geklärt oder Methoden werden nicht richtig angewendet. In diesen Fällen wird häufig der Ruf nach überdurchschnittlicher sozialer Kompetenz des Projektleiters laut, die diese Probleme kompensieren soll. Dadurch wird jedoch der falsche Fokus gesetzt, meint Dr. Georg Angermeier. Er beschreibt, warum Soft Skills aus seiner Sicht als Lückenbüßer für ein professionelles Projektmanagement herhalten müssen.

Sozialkompetenz – Lückenbüßer für professionelles Projektmanagement?

Es gibt viele Gründe, warum Projekte scheitern. Projektziele, Rollen und Verantwortlichkeiten sind nicht eindeutig geklärt oder Methoden werden nicht richtig angewendet. In diesen Fällen wird häufig der Ruf nach überdurchschnittlicher sozialer Kompetenz des Projektleiters laut, die diese Probleme kompensieren soll. Dadurch wird jedoch der falsche Fokus gesetzt, meint Dr. Georg Angermeier. Er beschreibt, warum Soft Skills aus seiner Sicht als Lückenbüßer für ein professionelles Projektmanagement herhalten müssen.

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Am Ende meines ersten Projektmanagement-Seminars, das ich vor mehr als 15 Jahren besuchte, betonte der Referent mit pathetischem Ausdruck, dass das letztlich Entscheidende für den Projekterfolg der "Faktor Mensch" sei. Ich hielt diese Aussage schon damals für zu trivial. Schließlich arbeiten in allen Projekten Menschen, Projekte werden von Menschen beurteilt und die Projektergebnisse von Menschen entweder benutzt oder ignoriert. Und wenn menschliches Verhalten tatsächlich der ausschlaggebende Faktor für den Projekterfolg wäre, warum hatten wir dann drei Tage Methoden gepaukt? Dann dürften doch wohl nur Psychologen Projektmanager werden.

Mir als Physiker drängen sich seitdem beständig Fragen auf wie: Warum müssen Projektteams immer "eingeschworen" sein? Wieso müssen Projektleiter beständig motivieren, Konflikte lösen und Krisen bewältigen? Sind Projektteams keine Arbeitsteams, sondern gruppendynamische Selbsterfahrungsgruppen? Warum sollten Soft Skills in der Projektarbeit wichtiger als in der Linienarbeit sein?

In vielen Diskussionen mit Fachkollegen, bei Vorträgen und in Trainings hörte ich immer wieder, dass es insbesondere in Projekten darauf ankommt, die Mitarbeiter zu motivieren, Krisen zu überwinden und Konflikte zu klären. Ich hingegen hatte seit jeher den Eindruck, dass die meisten Probleme in Projekten auf handwerklichen und organisatorischen Defiziten beruhen. Anfangs zweifelte ich an mir selbst und stellte mir die Frage, ob ich ein beziehungsunfähiger "Fachidiot" sei. Mittlerweile bezweifle ich hingegen, dass das  Aufheben berechtigt ist, das speziell im Projektmanagement um den "Faktor Mensch" gemacht wird.

Ich vertrete die These, dass es nur ein Ablenkungsmanöver darstellt, immer wieder auf die Sozialkompetenz von Projektleitern als den entscheidenden Erfolgsfaktor zu verweisen. Diese Vorgehensweise soll vertuschen, dass

  • Ziele und angestrebte Ergebnisse nicht eindeutig beschrieben,
  • Projektorganisationen unklar aufgebaut und
  • Projektpläne nicht mit der notwendigen methodischen Sorgfalt erstellt werden.

Wenn z.B. die aktuelle Competence Baseline (ICB) der IPMA detailliert 15 Kompetenzen im Bereich "Verhaltenskompetenzen" aufführt, u.a. "Relaxation" ("Entspannung und Stressbewältigung") und "Negotiation" ("Verhandlungen"), so frage ich mich, ob dies noch im rechten Maß zur vorrangig sachlichen Aufgabe eines Projekts steht. Kann es wirklich Aufgabe des Projektleiters sein, zunächst einmal alle Verhandlungen, die für das Projekt erforderlich sind, mit den Stakeholdern zu führen und danach durch "humour and story telling" (ICB 3.0, S.97) für das gestresste Projektteam eine entspannte Arbeitsatmosphäre zu schaffen, in der die Teammitglieder ihren Aufgaben optimal nachkommen können? Meiner Meinung nach deklariert es die ICB damit zur Best Practice, organisatorische Defizite durch Soft Skills auszugleichen.

Im Vergleich zu anderen Richtlinien des Projektmanagements, wie z.B. dem PMBOK® Guide, halte ich die Betonung der Verhaltenskompetenzen bei der ICB 3.0 für übertrieben. Diese Überbetonung ergibt sich in meinen Augen als logische Konsequenz der Unreife des Projektmanagements, die in vielen Unternehmen besteht, denn die ICB ist schließlich das Ergebnis einer Diskussion, die über viele Jahre hinweg von zahlreichen Projektmanagementexperten geführt wurde. Sie ist also nicht bloß "irgendeine Richtlinie", sondern Ausdruck der vorherrschenden Projektmanagementkultur, zumindest der europäischen. Und diese Projektmanagementkultur ist ganz offensichtlich dadurch gekennzeichnet, dass Projektleiter ohne ausreichende Budgetverantwortung und Ressourcenbefugnis gegen zahlreiche Widerstände mit ihrem Projektteam ein nicht präzise definiertes Projektziel verfolgen müssen.

Nur so ist es für mich zu erklären, dass z.B. die von Klaus Tumuscheit empfohlene sog. "Guerilla-Taktik" für Projektmanager (Tumuscheit, Projekt Magazin 5/2009) so enormen Zuspruch erhält. Laut Tumuscheit, der offenbar vielen Lesern aus der Seele spricht, befinden sich Projektleiter beständig in der unangenehmen Situation, mit mangelnden Befugnissen ausgestattet zu sein und ohne klaren Projektauftrag und verbindlich zugeteilte Ressourcen handeln zu müssen. Diese Rahmenbedingungen führen dazu, dass dem Projektleiter die Aufgabe zufällt, mit entsprechendem Verhandlungsgeschick ("Guerilla-Taktik") die entscheidungsbefugten Projektauftraggeber bzw. Linienmanager dazu zu bewegen, eindeutige Aussagen zu treffen bzw. Ressourcen für das Projekt zur Verfügung zu stellen.

Ich halte es aber für den falschen Ansatz, vom Projektleiter zu erwarten, dass er diese unbefriedigende Situation mit schier übermenschlichen Soft Skills bewältigt. Vielmehr sollten Autoren von PM-Standards, Projektleiter, Trainer und andere Projektmanagement-Profis selbstbewusst die Ansprüche formulieren, die professionelle Projektarbeit an Auftraggeber, Unternehmensführungen und Organisationen stellt. Mit den folgenden Thesen plädiere ich dafür, einerseits die Bedeutung von Soft Skills für den Projekterfolg wesentlich niedriger zu bewerten und andererseits das Augenmerk auf die fachgerechte Grundlagenarbeit zu legen.

Sozialkompetenz – Lückenbüßer für professionelles Projektmanagement?


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Alle Kommentare (10)

Michaela
Waltersam

teile die meinung des autors voll und ganz - der artikel spricht mir aus der seele

 

Franz
Votapek

Sehr geehrter Herr Dr. Angermeier, sie sprechen mir aus der Seele. Es ist in der Tat faszinierend, wie sich auch große Unternehmen über den Mangel an PM-Methoden (Projektauftrag - was ist das?, Projektstrukturplan - noch nie gehört!, Projektumfeldanalyse - aha, das ist aber eher für den Kindergarten oder?) hinwegschwindeln und dann mit dem Verweis auf die Sozialkompetenz den Projektleiter unter Druck setzen (Das muß der doch können, dafür ist er ja Projektleiter, dafür haben wir ihn ja geholt!) Leider hat die IPMA mit der ICB 3.0 versucht, alle Eventualitäten abzudecken (von der Netzplan- bis zur Entspannungstechnik...) aber Projektleiter wünschen sich eine checkliste und ein handhabbares Vorgangsmodell. Leider ist die DIN 69901 nicht so populär wie jene schicken baselines, die für die Zertifizierung dienen, zum Arbeiten wär sie aber allemal hilfreicher. Vielen Dank nochmal für Ihren guten Artikel, mit besten Grüßen, Franz Votapek

 

Arne
Hennes

Der Artikel spricht mir aus dem Herzen und einen Verdacht aus, den ich ebenfalls seit Jahren habe. Die tatsächlichen kritischen Punkte und Gründe für die Probleme in der Projektarbeit sind exakt auf den Punkt gebracht. Es bleibt das Hauptproblem und größte Hindernis für den PM ohne eigene Befugnisse: Das Management.

 

Uwe
Keller

Lieber Herr Angermeier, Projektmanager sind Führungskräfte. Sie müssen ein temporär zusammengewürfeltes Team in meist sehr schwierigem Umfeld führen. Das führt in der Praxis tatsächlich zu immensen Problemen und Konflikten. Ihre These, weniger Softskill - bessere Rahmenbedingungen, halte ich für eine kurzsichtige Schlussfolgerung. Natürlich würde sich jeder Projektleiter ideale und professionelle Rahmenbedingungen für sein Projekt wünschen. Doch leider findet man diese oft so nicht vor. Es gibt zweifellos häufig Defizite und Schwächen in der Gestaltung von akzeptierten Unternehmensprozessen und im führen von Organisationen und Unternehmen. Umso wichtiger sind eben die Kenntnisse und Fertigkeiten eines Projektmanagers im Softskill, um in diesem schwierigen Umfeld nicht zerrieben zu werden, als Sündenbock abgestempelt zu werden oder unterzugehen. Ich würde die Competence Baseline der IPMA daher wohl eher als ein Angebot eines Tool- und Methodenkataloges ansehen, in dem ich mich als Projektmanager situationsbedingt bedienen kann. Die Chance, durch geschickte Anwendung von Softskills zu ansprechenden Ergebnissen zu gelangen, ist möglicherweise höher als auf eine Verbesserung der Rahmenbedingungen zu hoffen. Dennoch gebe ich Ihnen durchaus Recht, dass Softskill nicht das Allzweckmittel gegen unprofessionelles Management sein kann.

 

Norbert
Bongartz

dieser Artikel spricht mir voll aus dem Herzen. Ich kann jeden Satz nur voll aus meiner Praxis bestätigen. Ich verliere immer mehr die Lust daran, Projektmanager zu sein, weil ich keine Lust mehr dazu habe, immer nur die organisatorischen Defizite einer Firma auszugleichen zu versuchen.

 

Guest

Der Stellenwert der Sozialkompetenz von Projektleiter ergibt sich in der Praxis sehr oft aus einem Mangel an Alternativen. Ich unterstreiche Ihr Plädoyer an die Projektleiter. Gleichzeitig muss allerdings auch ein entsprechendes Plädoyer an die Organisationsverantwortlichen gerichtet werden. Ziel muss es letztendlich sein, die Entstehung der Vorgaben bzw. die Darstellung der Motivation für ein Projekt (Business Case, klare Projektziele) bereits durch die Organisation vom Projektowner stärker zu fordern und im Zweifelsfall dem Projektleiter die formalen Kompetenzen einzuräumen diese Vorgaben einfordern zu können. Ist dies nicht gewährleistet, dann kommt es in der Praxis leider sehr stark auf die Persönlichkeit (und damit die Sozialkompetenz) des Projektleiters an, ob es es schafft, diese Dinge einzufordern. Er wird sonst automatisch in die Rolle des Einzelkämpfers gedrängt.

 

Wolfgang
Weber
Dr.

Sehr geehrter Herr Angermeier, Ihren Artikel musste ich zweimal lesen - und zwischendurch den zitierten von K. Tumuscheit -,um die beiden Auffassungen zusammenzubekommen. Die Guerillataktik klingt zunächst sehr plausibel, jeder hat sie wohl schon so oder so ähnlich selber erlebt. Daher vermutlich auch die grosse positive Resonanz. Allerdings hat sie m.E. den inakzeptablen Nachteil, dass sie die bestehenden Verhältnisse eher zementiert anstatt dazu zu führen, dass im betreffenende Unternehmen die fehlende PAG-Verantwortung verstanden und schrittweise auch übernommen wird. Darüberhinaus: Es ist "ja so bequem", wenn der Projektleiter selber für Ziele sorgt - aber sind es auch die aus Unternehmenssicht die richtigen? Auch dieser Aspekt ist bei der Guerillataktik eine grosse Gefahr. Mit besten Grüssen, W. Weber (Physiker)

 

Guido
Karkosch
Dipl.-Wirt.Inform.

Sehr geehrter Herr Dr. Angermeier, Sie haben es mal wieder auf den Punkt gebracht. Vielen Dank dafür. Es gibt, Gott sei Dank, doch noch Menschen, die mit offenen Augen durch das Leben gehen, und nicht jede Modeerscheinung blind akzeptieren. Auch ich stelle mit Erschrecken die von Ihnen beschriebene Entwicklung immer häufiger und intensiver (auch als Betroffner) fest. Aber es ist ja auch einfacher, die eigenen Versäumnisse auf jemand anderen zu projizieren, anstatt die Ursachen der Probleme auszuräumen. Lieber verheizt man seine Projektleiter.

 

Harald
Wehnes
Prof. Dr.

Ausgezeichneter Artikel, der auch meine Erfahrungen an vielen Stellen widerspiegelt.

 

Guest

Sie sprechen mir ebenfalls aus der Seele! Ich denke, dass das Projekt - dem ich dienen darf - recht brav die Formalien, die wir momentan leben, mitmacht. Wenn wir es anders bräuchten haben wir auch die Freiheit es unseren Wünschen gemäß weitestgehend abzuändern. Dank PMP hab ich da ne Menge Ideen, was wir alles machen könnten. Ja, die meisten sind eher stillere Techniker, die wirklich Spaß an ihrer Arbeit haben. Richtige Partylaune werden wir wohl nicht hinbekommen - aber wir erfreuen uns gegenseitig daran, dass das meiste recht rund läuft und wir gemeinsam hoffentlich etwas tolles neues erschaffen. Ganz ohne überbordende Sozialkompetenz. Vielen Dank für den Artikel SC (Physikerin)