Projektleiter: So viele Rollen und doch kein Schauspieler

Projektleiter sind es gewohnt, zuweilen unter Dauerstress zu agieren. Es liegt in der Natur der Aufgabe, dass sie ihre Tätigkeiten laufend mit den unterschiedlichsten Charakteren koordinieren müssen, sie leiden unter Zeitdruck, manchmal unvorhersehbaren Entwicklungen, Terminverschiebungen, sich verändernden Anforderungen und weiteren Stressfaktoren.

 

Projektleiter: So viele Rollen und doch kein Schauspieler

Projektleiter sind es gewohnt, zuweilen unter Dauerstress zu agieren. Es liegt in der Natur der Aufgabe, dass sie ihre Tätigkeiten laufend mit den unterschiedlichsten Charakteren koordinieren müssen, sie leiden unter Zeitdruck, manchmal unvorhersehbaren Entwicklungen, Terminverschiebungen, sich verändernden Anforderungen und weiteren Stressfaktoren.

 

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Projektleiter sind es gewohnt, zuweilen unter Dauerstress zu agieren. Es liegt in der Natur der Aufgabe, dass sie ihre Tätigkeiten laufend mit den unterschiedlichsten Charakteren koordinieren müssen, sie leiden unter Zeitdruck, manchmal unvorhersehbaren Entwicklungen, Terminverschiebungen, sich verändernden Anforderungen und weiteren Stressfaktoren.

Doch selbst Menschen, die bereits über eine gewisse Grund-Resilienz verfügen und einiges an Stress aushalten können, geraten in Situationen, in denen die Arbeitsbelastung sie überfordert. Wie schnell das gehen kann, zeige ich Ihnen nachfolgend am Beispiel von Projektleiter Dr. Lübbers – und wie er einen Weg aus dieser misslichen Lage fand.

Der Druck wächst

Als erfahrener Projektleiter ist Dr. Lübbers Stress gewohnt. Gerade hat er ein neues Projekt übernommen, es geht um die Entwicklung von neuen Druckerpatronen, mithilfe derer sein Unternehmen die Konkurrenz aus dem sich entwickelnden Discounter-Markt vertreiben will. Sein Chef hat ihm unmissverständlich ins Stammbuch geschrieben, dass die nächste Preisrunde in ihrem Markt eine entscheidende werden würde. Auf die Frage nach der Termintreue hat Lübbers seinem Chef versichert: "Wir werden den Termin halten – darauf haben Sie mein Wort!"

Am Morgen darauf platzt bei Dr. Lübbers unangemeldet Fritz Ackermann, Fachmann für die Düsen, herein und blafft ihn an: "Welcher Idiot hat denn den Zeitplan aufgestellt? Die Meilensteine sind überhaupt nicht zu halten. Wir brauchen mindestens 20% mehr Zeit, damit die Dinger nachher überhaupt funktionieren." Lübbers kann Ackermann nur noch sagen: "Ich kümmere mich drum!" Immerhin steht er bei dem Düsen-Spezialisten im Wort, ihm so viel Zeit zu verschaffen wie er braucht, um etwas "mit Hand und Fuß" zu entwickeln. Seit dem Kick-off hatte es bereits zwei Notmeldungen kleinerer Art gegeben. Lübbers konnte das dank seiner Beziehungen im Unternehmen gerade noch so regeln. Dabei war Ackermann doch beim Kick-off und bei der Zeitbedarfsschätzung dabei gewesen!

Aber heute tritt er schon in zwei verschiedenen Rollen auf: In der desjenigen, der einerseits bei allen Beteiligten dafür sorgen wollte, dass diese Entwicklung mit einem Minimum an Zeit erledigt wird. Dazu steht er auch, immerhin geht es darum, die Konkurrenz auch zeitlich zu schlagen. Die zweite Rolle besteht darin, soviel Zeit wie möglich zur Verfügung zu stellen und ein zeitliches ruinöses Wettrennen zu verhindern, um die Qualität sicherzustellen. Auch dazu steht Lübbers, denn es hat ja keinen Zweck, minderwertige Ware auf den Markt zu werfen. Gar nicht auszudenken, was das für Folgen hätte.

Die Sache läuft aus dem Ruder

Eigentlich ist Dr. Lübbers ein eher ruhiger Zeitgenosse und versteht sich darauf, einiges an Stress auszuhalten. Aber an diesem Morgen ist die Geschichte mit den Druckerpatronen schon grenzwertig eskaliert: Vor allem fühlt er sich mehr und mehr persönlich angegriffen. Auch sein persönlicher Bonus hängt an den "Dingern", aber nur, wenn alle Stakeholder-Wünsche mehr oder weniger stimmig unter einem Hut versammelt werden. Er muss also beide Rollen, die sich aus den Erwartungen der Stakeholder ergeben, gleichzeitig erfüllen: die des Beschleunigers und die des Bremsers.

Außerdem hat er noch eine weitere Rolle zu verteidigen: Er hat sich einen Ruf als gewiefter Sparfuchs erarbeitet, der bisher viel Anerkennung zur Folge hatte. Denn er verteidigt sozusagen die Interessen der Budget-Verantwortlichen und sorgt dafür, dass er deren Erwartungen auch unter widrigen Umständen erfüllt.

Doch dieses Mal wird es damit eng. Seiner Rolle Nr. 1 und Nr. 2 wird er nur gerecht, wenn er Geld in die Hand nimmt, womit er aber die Erwartungen der Budget-Verantwortlichen enttäuschen würde. Ihm wird zunehmend klar, dass er die Rollenerwartungen, welche die Stakeholder an ihn stellen, nicht erfüllen wird können. Was er auch macht, er frustriert nicht nur die Stakeholder, sondern auch sich selbst. Er sieht eine neue Rolle auf sich zukommen: die des Versagers und Sündenbocks.

Die verschiedenen Erwartungen sind nicht mehr erfüllbar – seine Rollen nicht mehr kompatibel

Denn wenn er das Gesamt-Projektziel nicht erreicht, gefährdet er seine Jahresprämie und damit den Plan, mit seiner Frau endlich das Wohnzimmer neu einzurichten. Zuhause hat er die Rolle des alleinigen Ernährers inne, bis zu dem Zeitpunkt, wenn die Kinder ausziehen. Seine Frau ist zwar verständnisvoll, doch er selbst käme sich schäbig vor, wenn er die Erwartungen an diese "Ernährerrolle" (mitsamt entsprechenden "Extras") nicht erfüllen könnte. Schließlich ist es ihm wichtig, die Familientradition aufrechtzuerhalten, nach der die Ehefrauen den Beruf ruhen lassen können, bis die Kinder aus dem Haus sind.

Kommen die Patronen also zu spät auf den Markt, sieht er auch seine Rolle als guter Familienvater und -ernährer gefährdet. Die Entwickler haben im Moment noch ein Problem mit den Düsen, die einfach nicht mit dem neuen Reinigungssystem kooperieren wollten. Und vermutlich ist das nur ein Problem von vielen, denn die Fehler in der Anbindung an die Drucker-Software haben sie auch noch nicht im Griff. Dauernd läuft er den gesetzten Kontrollterminen für die Meilensteine hinterher. Ihm wird klar, dass sie insgesamt viel zu optimistische Zeitpläne gemacht hatten.

Mehrarbeit und das Interesse der Anderen

Er weiß, dass sich der Vertriebschef einen ganz großen Karrieresprung durch den Schachzug mit den Discountern verspricht und dass das mit einem schwierig durchzustehenden Preiskampf verbunden ist. Beim Kick-off vor einem halben Jahr sind sich auch alle einig gewesen, dass das machbar und eigentlich ohne Komplikationen zu erledigen sein müsste. Aber jetzt mauert auch noch der Tintenhersteller und kann seine Versprechungen über die Fließeigenschaften der Tinte nicht einhalten. Manchmal ist es schon zum Verzweifeln.

Er selbst arbeitet immer mehr und versucht durch persönlichen Mehraufwand die Interessen der Anderen zu verfolgen. Seit Wochen ist er schon nicht mehr beim regelmäßigen Sonntagsausflug der Familie dabei gewesen, sondern nur noch am Abend in das Ausflugslokal zum Essen nachgekommen.

Im Projektteam wird die Stimmung frostiger. Immer häufiger stellen Einzelne ihre egoistischen Interessen als Projektbeteiligte in den Vordergrund und kündigten ihm nun öfters an, dass sie "in Zukunft Schwierigkeiten haben würden, seinen Versprechungen zu trauen". Dabei sind es doch gar keine "Versprechungen", sondern Vereinbarungen! Und im Grunde ist die Lage sogar umgekehrt: Er kann – in dieser Form jedenfalls – ihren Versprechungen nicht mehr trauen! Auch sein Chef fragt mittlerweile beinahe schon regelmäßig nach, ob er immer noch sicher wäre, dass das Projekt termingerecht fertig wird. Klar, hängt doch dessen Beurteilung als Leiter des Entwicklungscenters "Drucker und Zubehör" natürlich auch am Erfolg dieses Projekts. Seit ca. drei Wochen nimmt er Schlaftabletten. Manchmal helfen sie.

Wenn er nicht dauernd im ganzen Unternehmen herumlaufen und die Leute antreiben würde, wäre die Geschichte längst beendet. Er befürchtet immer häufiger, dass er die Sache nicht mehr in den Griff bekommt. Vielleicht sollte er doch den Job wechseln. So jedenfalls wird er kaum Karriere machen, und das war doch eigentlich eines seiner großen Ziele gewesen…

Vor allem aber belastet ihn die Aussicht, seine eigenen Versprechen nicht einzuhalten. Er fällt damit aus der Rolle, nämlich aus der des alles regelnden Projektleiters. Neulich hat er einen Aufsatz gelesen, der eindeutig besagt, dass er damit sozusagen ein "Sonderticket" in ein Burnout-Syndrom erworben hat. Ein wenig ermutigender Gedanke...

Der Ratschlag…

In dieser schwierigen Lage rät ihm sein langjähriger Freund Axel in einem ernsten Gespräch, doch mal eine Zeitlang nur diesen einzigen Ratschlag zu befolgen und weniger auf die Erwartungen von außen, sondern auf die Anforderungen der eigenen Person zu achten:

"Wenn etwas funktioniert, mach mehr davon. Wenn nicht, lass es sein. Und: Wenn etwas nicht kaputt ist, dann repariere es auch nicht." (Sozusagen eine deutsche Version von "love it, change it or leave it!")

…und die Umsetzung

Das klingt viel zu leicht und zu oberflächlich! Aber es ist mit Sicherheit ein Anfang. Wenn Dr. Lübbers etwas beherrscht, dann konsequent sein. Nur dass er dieses Mal nicht konsequent immer mehr Anstrengung in dieselbe Richtung steckt, sondern beim Umsetzen dieses Ratschlags den Schwerpunkt seiner Aktivitäten deutlich zu seinen Gunsten verschiebt.

Natürlich sind auch die folgenden Wochen geprägt von viel Arbeit und neuen Problemen. Aber Dr. Lübbers macht in seiner Situation etwas grundlegend richtig: Er achtet mehr auf sich selbst! Er arbeitet weniger, dafür jedoch effektiver. Er delegiert mehr von dem, was er bisher für nicht delegierbar hielt. Er nimmt sich mehr Zeit für sich und seine Familie und schöpft daraus neue Energie. Er kultiviert seine Rolle als Projektleiter insofern, als dass er an seiner eigenen Identität als Projektleiter arbeitet. Dazu gehört auch, dass er für seine Arbeit als Projektleiter die volle Verantwortung übernimmt, aber nicht auch noch für Dinge, die in die Verantwortung von Teilprojektleitern und von Stakeholdern fallen, und die er letztendlich nicht beeinflussen kann. Er wird mehr zun Koordinator des Projekts und überlässt den Beteiligten für die Dinge die Verantwortung, die sie ja bereits übernommen haben.

Nach einiger Zeit steigt das Engagement aller Beteiligten insgesamt, vielleicht auch weil er mehr Zeit hat, um Anerkennung zu zeigen und weniger schlecht gelaunt wirkt. Die eher nur indirekt am Projektgeschehen Beteiligten haben es nun schwerer, im Nachhinein eine Bedingung zu Ungunsten der realistischen Projektplanung zu ändern.

Er lernt aber nicht nur im Unternehmen klarere Grenzen zu setzen, und nicht leichtfertig Versprechen zu machen, die er nicht einhalten kann. Dasselbe tut er auch in der Familie. Aber das möchte er hier lieber nicht zu Protokoll geben. Das ist ihm nämlich zu intim.

Sein schon beängstigend gestiegenes Stressniveau sinkt durch diese Veränderungen merklich.

Lessons Learned

Das Projekt schafft knapp die Termine. Zum Schluss müssen von allen Beteiligten einige Überstunden gemacht werden. Aber trotz des Drucks, der letztlich auf allen lastet, gelingt es schließlich. Für Dr. Lübbers steht damit fest, dass er die Strategie dauerhaft ändern muss, will er seine Fähigkeit zur Resilienz erhalten – vielleicht sogar ausbauen – und dem nicht zu vermeidenden Stress auf die Dauer standhalten, indem er länger als bisher einen klaren Kopf behält. Außerdem hat er gelernt, wie wichtig es ist, Grenzen zu setzen und sich keine Rollen mitsamt der damit verbundenen Verantwortung zusätzlich aufdrücken zu lassen, die niemand erfüllen kann. Nicht einmal er. Das Selbstbewusstsein, das auf der Strecke geblieben war, kehrt langsam zurück.

Liebe Leser! Haben Sie so etwas schon einmal erlebt? Kommt Ihnen diese Gemengelage bekannt vor? Und wie schützen Sie sich in solchen Situationen? Ich freue mich auf Ihre Beiträge!

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Alle Kommentare (1)

Guest

"Wenn etwas funktioniert, mach mehr davon. Wenn nicht, lass es sein. Und: Wenn etwas nicht kaputt ist, dann repariere es auch nicht." (Sozusagen eine deutsche Version von "love it, change it or leave it!") Danke :)